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Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Mag. Elisabeth Udolf-Strobl: Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie! Das Thema dieser Pressestunde - - Entschuldigen Sie, ich bin jetzt etwas verwirrt gewesen aufgrund des ganz freundlichen Winkens einer jungen Dame. Das hat mich ein bisschen abgelenkt. Ich bitte um Entschuldigung, ich werde mich jetzt besser konzentrieren.

Die neue Europäische Kommission hat, mit einer leichten Verzögerung, ihre Arbeit erst mit 1. Dezember begonnen. Deshalb wird auch das Arbeitsprogramm dieser neuen Europäischen Kommission erst mit Verspätung vorgestellt werden, und zwar – wie ich heute früh kurz vor Beginn dieser Aktuellen Stunde gehört habe – erst am 29. Jänner 2020. Das heißt, dass wir erst dann detailliert und mit Gewissheit beurteilen können, wie der künftige Weg und die notwendigen Transformationsprozesse in der Wirt­schafts-, Handels-, Industrie-, Wettbewerbs- und Binnenmarktpolitik vorgezeichnet werden sollen. Trotzdem halte ich es für sehr, sehr relevant, dass wir dieses Thema bereits be­sprechen, weil es schließlich und endlich auch darum geht, wie wir uns einbringen, wie sich Österreich in die Ausformung dieser Politiken einbringt.

Mir sind zwei besondere Ausdrücke, die ich aus Brüssel mitgenommen habe, in Erin­nerung geblieben: der eine ist Silodenken und der zweite Level Playing Field. Ich werde bei meinen thematischen Schwerpunkten noch darauf zu sprechen kommen, was das in diesem Zusammenhang bedeutet.

Einer der zu erwartenden Schwerpunkte wird jedenfalls die Stärkung der industriellen Basis der Europäischen Union sein. Unter industrieller Basis wird der Produktions­standort gesehen, das sind sowohl die größeren Industriebetriebe als auch die KMU-Sektoren. Die Industriestrategie, die wir für März 2020 erwarten, wird dringend ge­braucht, um den lang geforderten politischen Rahmen zu bilden, der über den bisher verfolgten Ansatz der reinen Organisation hinausgeht und eben alle Politikbereiche inhaltlich verknüpft. Da kommt der Begriff Silodenken herein: Es soll in der neuen Industriestrategie und in der Strategie der neuen EU-Kommission betreffend diese Thematiken kein Silodenken mehr geben. Das ist so wichtig, weil wir damit endlich einen Rahmen bilden und ein Mosaik bauen können, in dem die Steine, die bisher jeweils als Einzelthematik gesehen wurden, verknüpft werden und als Gesamtrahmen gesehen werden können.

Aus unserer Sicht benötigen wir als Europäische Union – und wir müssen uns hier wirklich selbst als Europäische Union erkennen und auch so definieren – klare Maß­nahmen zur Stärkung dieser industriellen Basis. Wir brauchen ein In-den-Fokus-Rücken der Rolle der europäischen Unternehmen und ganz besonders auch der KMU als Motor für Innovation und Erneuerung. Und wir brauchen diese industriellen Wertschöpfungsketten, die quer durch Europa gezogen werden können. Wir müssen über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen.

Zu beachten gilt hierbei auch, dass die künftige europäische Industriepolitik besonders auf einen fairen Wettbewerb im globalen Kontext achtet. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere europäischen Player im globalen Wettbewerb Chancen haben und mit­spielen können. Auch diesbezüglich ist das Thema der Level Playing Fields so beson­ders wichtig. Wir müssen auf Augenhöhe sein können. Immerhin geht es um die Sicherung der wertvollen Arbeitsplätze in Europa, und die sind auch in der Qualität wertvoll.

Ebenso muss die Industriepolitik digital ausgerichtet werden. Sie muss die Möglich­kei­ten der digitalen Zeit, der digitalen Inhalte in eine qualitativ hochwertige Industriepolitik mit hineinnehmen.

Diese Industriestrategie, die die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zu erarbeiten haben wird, wird vor allem im Zusammenspiel mit dem European Green Deal besonders wichtig sein, und dabei ganz stark im Fokus ist der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft, die im Programm von der Leyens auch angesprochen wird. Es muss daher durch entsprechende Übergangsinstrumente – und da ist auch der Just Transition Fund gemeint – sichergestellt werden, dass unsere Unternehmen diesen Transformationsprozess meistern können, der alles andere als einfach sein wird. Er wird aber machbar sein und er wird auch machbar sein müssen.

Wenn wir den Schwerpunkt Binnenmarkt und KMU nehmen, dann wird das Arbeiten an einem funktionierenden, zeitgemäßen, effizienten, aber vor allem auch fairen Bin­nenmarkt die Ausrichtung für die nächste Kommission sein müssen. Auch in diesem Zusammenhang braucht es ein überarbeitetes Regelwerk, das sich schnell an geo­politische Dynamiken anpasst und unsere europäische Rolle im globalen Wettbewerb stärkt.

Vor allem in der Binnenmarktgesetzgebung erwarten wir einen stärkeren Fokus auf die vollständige, effiziente und ausführliche Umsetzung bestehender Rechtsakte und Vor­schriften, bevor wir in neue gesetzliche Initiativen hineingehen. Selbstverständlich hat dies unter Berücksichtigung der unternehmerischen Bedürfnisse, der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der besseren Rechtsetzung zu geschehen. Der Ankündigung eines Aktionsplans für die Durchsetzung von Binnenmarktrecht sehen wir daher mit großem Interesse entgegen und warten schon sehr gespannt darauf, was sich da im Detail darstellen wird.

Die KMU als Rückgrat unserer Wirtschaft zu sehen ist immer österreichische Wirt­schaftspolitik gewesen. Wir begrüßen daher auch die Ankündigung einer gemein­samen KMU-Strategie, die aber auch eine Überarbeitung, und zwar eine notwendige Überarbeitung des Small Business Act aus 2018 umfassen und Lösungen für die großen gegenwärtigen Herausforderungen für KMU vorsehen soll. Dazu gehört unter anderem der Abbau administrativer Belastungen, dazu gehört die Förderung digitaler Geschäftsmodelle sowie die Vereinfachung des Zugangs zu Finanzierung und zu neuen Märkten. Österreich wird sich hier besonders dafür einsetzen, dass es nicht nur bei Strategiepapieren bleibt, sondern dass die Maßnahmen dann auch umgesetzt werden, weil sie umgesetzt werden können. Die KMU sollen bei ihrer Arbeit nicht mit bürokratischen Maßnahmen belastet werden.

Zum Schwerpunkt Handelspolitik: Die EU muss sich den zahlreichen Herausfor­derun­gen in einem sich sehr schnell ändernden globalen Umfeld stellen. Dabei soll – und das sehen wir von österreichischer Seite auch als ganz besonders wichtig an – ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Wirtschaftspolitik, Außenpolitik, Standortpolitik und Umweltpolitik im Interesse der europäischen und natürlich besonders auch der österreichischen Bevölkerung gefunden werden.

Wir erwarten daher von der Europäischen Kommission langfristige, strategische Aus­richtungen mit konkreten Zielen und Maßnahmen. Durch das Setzen von Schwer­punkten sollen Wohlstand, ein verträgliches Wachstum, Arbeitsplätze und damit die soziale Sicherheit in Europa gestärkt und auch für die Zukunft gewährleistet werden.

In den Räten, die ich in Brüssel mitgemacht habe, war es immer auch ein Thema, eine europäische Werteorientierung zu definieren und sich an dieser zu orientieren. Diese Werteorientierung ist gerade auch für Österreich immer eine zentrale Frage, und zwar nicht nur in Bezug auf marktwirtschaftliche Prinzipien und freien Wettbewerb, eben mit Unterstützung und Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen, sondern auch bei der Bewusstmachung europäischer Standards in den Bereichen der Sozialpolitik, der Nachhaltigkeit, des Umweltschutzes und der Korruptionsbekämpfung, und zwar weltweit. Wir wollen diese Standards nicht nur nach innen gerichtet sehen, sondern wir wollen sie im globalen Umfeld in unsere Wirtschaftsbeziehungen mitnehmen.

Im Hinblick auf die derzeitigen protektionistischen Strömungen und die Abschottung der nationalen Märkte erwarten wir von der Kommission entschiedene Maßnahmen zur Eindämmung der entstandenen Handelskonflikte. Österreich bekennt sich auch weiter­hin zur Unterstützung des Multilateralismus und der Stärkung des regelbasierten Han­delssystems.

Ich hebe das deswegen so hervor, weil sich in der letzten Zeit auch in der Welt­han­delsorganisation, WTO, die seit 1995 in dieser Form besteht, Änderungen als notwen­dig erweisen. Die WTO muss organisatorisch und vor allem auch inhaltlich an die ge­änderten Rahmenbedingungen des globalen Handels angepasst werden – es geht dabei um Waren, es geht um Dienstleistungen, es geht um Investitionsbereiche –, damit einfach die vielen Reformthemen gemeistert werden können.

Die wichtigsten Bereiche, in denen dabei rasch Lösungen gefunden werden müssen, sind die Reduktion des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen, die faire Organisation globaler Wertschöpfungsketten unter Teilhabe der wirtschaftlich weniger entwickelten Länder, die Anpassung an die Anforderungen einer digitalen Dienstleistungs­gesell­schaft sowie die Beseitigung ungerechtfertigter Diskriminierungen. Ich hebe das deswegen so hervor, weil ich vollkommen davon überzeugt bin, dass es ein funktionierendes inter­nationales Handelssystem, eine funktionierende internationale Welthandelsorgani­sa­tion braucht, damit wir auch von Europa aus unsere Intentionen, unsere Werte und unsere Zielsetzungen gut vertreten können.

Es ist mir bewusst, dass ich Ihnen heute hier noch kein detailliertes Programm der legislativen und nicht legislativen Vorhaben der Europäischen Kommission präsen­tie­ren und daher auch noch nicht im Detail darauf eingehen kann, weil sie einfach noch nicht vorliegen. Ich möchte aber mit der Betonung der Wertigkeit, die Österreich bei der Mitarbeit der Ausformung dieser Rahmenbedingungen hat, um Europa als wichtigen, gleichwertigen, großen Spieler im internationalen Konzert halten zu können, schließen. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

10.09

Präsident Karl Bader: Ich danke der Frau Bundesministerin und darf eine weitere Schülergruppe im Bundesrat willkommen heißen, nämlich die Schülergruppe aus der HAK Mödling. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht überschreiten darf.

Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler. – Bitte sehr.