15.51

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Grüß Gott, sehr geehrte Damen und Herren Bundes­räte! Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank für die Einladung! Ich freue mich, wieder einmal bei Ihnen im Bundesrat zu Gast sein zu dürfen. (Bundesrat Rösch: Das glaub ich nicht!) Ich darf auch die Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernseh­geräten ganz herzlich begrüßen, die trotz des wirklich schönen Wetters heute dankens­werterweise die Sitzung des Bundesrates verfolgen, und ich darf auch, Frau Bundes­rätin, gleich zur Beantwortung Ihrer Fragen kommen.

Ich tue das zunächst einmal, wenn Sie gestatten, mit einem allgemeinen Statement, da hier einige Punkte, einige Themen angesprochen worden sind, von denen ich glaube, dass es wichtig ist, vielleicht überblicksartig, aber doch vorweg einmal darauf einzu­gehen, bevor ich zur konkreten Beantwortung der Fragen komme.

Ich möchte vielleicht damit beginnen, dass es zu Recht im Regierungsprogramm ein Bekenntnis zu einer starken und unabhängigen Justiz gibt, weil eine starke und unabhängige Justiz die Basis für einen funktionierenden Rechtsstaat ist. (Beifall bei der ÖVP sowie der BundesrätInnen Hauschildt-Buschberger und Schreuder.)

Eine starke und unabhängige Justiz muss auch effizient und qualitätsvoll arbeiten, damit sie das volle Vertrauen der Bevölkerung genießt, und sie muss natürlich auch mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet sein, um funktionsfähig zu sein. Ich glaube, wir haben das Glück, dass wir in einem Land leben dürfen, in dem die Rechts­staatlichkeit ein hohes Gut ist und daher haben wir auch die Verantwortung, alles dafür zu tun, dass unser Justizsystem funktioniert, weil das eine wesentliche Säule eines funk­tionierenden Rechtsstaates ist.

Vor diesem Hintergrund habe ich einige Defizite im Bereich der Justiz angesprochen und natürlich auch gleich versucht, Verbesserungspotenziale zu definieren. Ich glaube, dass es wichtig ist, solche Diskussionen zu führen, weil es im 21. Jahrhundert keine Institutionen geben sollte, die sakrosankt sind. Wir kennen das aus dem vergangenen Jahrhundert, als man in der katholischen Kirche oft das Gefühl hatte, dass man, selbst wenn etwas schiefläuft, es nicht ansprechen darf, weil es die katholische Kirche ist. (Bundesrat Schabhüttl: Da hat sich nichts geändert! Da hat sich nicht viel geändert! – Bundesrat Rösch – in Richtung Bundesrat Schabhüttl –: Tu dich nicht versündigen! Sonst kommst in die Hölle!)

Mittlerweile gibt es einige, die der Meinung sind, man darf das vielleicht im Bereich der Justiz nicht. Ich denke, ein anderer Weg ist der richtige: Überall, in jeder Institution, muss ein kritischer Diskurs möglich sein, muss es möglich sein, Defizite anzusprechen; stets mit dem Ziel, die Situation zu verbessern. Ich bin überzeugt davon, dass es in dieser Debatte auch möglich war, gemeinsam mit der Justizministerin Bereiche zu defi­nieren, in denen wir besser werden können. Gemeinsam werden wir jetzt auch unsere Energie darauf verwenden, um das zustande zu bringen.

Sie haben gefragt, was Thema bei diesem Hintergrundgespräch war. Es war zum Ersten Thema, dass meiner Meinung nach einige Verfahren viel zu lange dauern. Ich sage Ihnen etwas: Ich habe kein Verständnis dafür, dass manche Verfahren acht, zehn, zwölf Jahre dauern. Die Österreicherinnen und Österreicher erwarten sich zu Recht, dass möglichst zügig gearbeitet wird, dass auf der einen Seite Schuldige schnell ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, dass aber auf der anderen Seite Per­sonen, die sich nie im Leben etwas zuschulden haben kommen lassen, auch nicht jahrelang mit falschen Vorwürfen konfrontiert sind, die sie vielleicht im Berufs- und auch im Privatleben massiv behindern. Das ist wichtig in einem funktionierenden Rechtsstaat. (Beifall bei der ÖVP.)

Darüber hinaus haben wir das Problem – und gerade Sie als sozialdemokratische Fraktion haben das ja vor einiger Zeit auch noch lautstark kritisiert –, dass es einige Fehlentscheidungen gegeben hat. Eine ganz problematische Fehlentscheidung war die rechtswidrige Hausdurchsuchung beim BVT. Das hat zu einem Untersuchungs­aus­schuss und auch zu einem internationalen Vertrauensverlust geführt. Insofern ist es wichtig, auch in der Justiz daran zu arbeiten, den Rechtsschutz zu stärken, damit solche Entscheidungen, wie die, die damals getroffen wurde, nie wieder passieren. (Bundesrat Rösch: Da war sicher der Kickl schuld! – Bundesrat Steiner: Ja, immer!)

Zum Dritten, sehr geehrte Damen und Herren, haben wir immer wieder die Situation – Sie erleben das ja als politisch interessierte und aktive Menschen mit –, dass viele der Verfahren in Österreich immer wieder etwas zu öffentlich geführt werden, dass man das Gefühl haben kann, dass vielleicht das Verfahren besser vor Gericht aufgehoben wäre als in allen Details in den Medien.

Immer wieder sind Leaks ein Problem. Dagegen muss man ankämpfen, und wenn man mit Journalistinnen und Journalisten spricht, dann ist das natürlich auch immer wieder Gesprächsthema. Es werden einem nie konkrete Fälle oder konkrete Personen genannt, aber es wird in Gesprächen mit Journalisten durchaus auch dargelegt, wie das System funktioniert, wie Medien an ihre Informationen kommen: oft von Be­schuldigten, manchmal von Rechtsanwälten. Da und dort berichten Medien aber auch darüber, dass es auch andere Wege gibt, wie zum Beispiel „Der Standard“ am 11. Februar oder die Tageszeitung „Die Presse“ am 13. September, die durchaus auch in den Raum stellen, dass es einen direkten Informationsfluss aus Ministerium und Behörden gibt. (Bundesrat Rösch: Als könnten wir nicht selber Zeitung lesen!)

Darüber hinaus – und das ist jetzt ein Punkt, wo es, denke ich, durchaus richtig ist, die Worte zu verwenden, die Sie gewählt haben, Frau Bundesrätin, als Sie gesagt haben, Sie haben große Sorge – brauchen wir eine unabhängige Justiz. Wir müssen das wahren, was uns in Österreich heilig ist und dürfen uns nicht Länder zum Vorbild nehmen, in denen die Situation eine deutlich schlechtere ist. Daher möchte ich heute schon noch erwähnen, dass ich in diesem Hintergrundgespräch, aber auch öffentlich, etwas angesprochen habe, wovon ich glaube, dass es so etwas in Österreich nicht geben darf: Die Sozialdemokratie hat vor 20 Jahren (Heiterkeit bei BundesrätInnen der SPÖ) – das ist mittlerweile belegt und vom Justizsprecher bestätigt – versucht, Ge­nossinnen und Genossen in die Justiz zu bringen und das aus der Parteizentrale zu steuern. (Bundesrat Schabhüttl: Das macht die neue ÖVP schon seit Jahren!) Da sage ich in aller Deutlichkeit: Mir ist wichtig, dass die Justiz unabhängig ist, dass es keine Unterwanderungsversuche von Parteien gibt. So etwas darf nicht vorkommen, weder damals noch heute und hoffentlich auch nicht in Zukunft! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Schabhüttl: Das ist an Traurigkeit nicht zu überbieten!)

Die Justizministerin, die Kanzleramtsministerin und ich hatten ein sehr gutes Gespräch mit den Standesvertretern der Staatsanwälte. Es war ein sehr positives Gespräch, in dem wir schnell auch einige Ideen gemeinsam aufgreifen konnten, um in der Justiz auch da und dort, wo es notwendig ist, Verbesserungen in die Wege zu leiten. (Bun­des­rat Schabhüttl: Was heißt Ideen? Liegt ja eh alles am Tisch!) Die Justizministerin hat nach diesem Gespräch gesagt, dass sie der Meinung ist, dass dieser Termin durchaus ein Auftakt für eine Justizreform sein kann. Sie hat da meine vollkommene Unterstützung, weil ich glaube, dass es sinnvoll ist, dort Potenziale zu heben, wo es sie noch gibt.

Die Justizministerin hat daher vorgeschlagen, Maßnahmen zu setzen, um schnellere Verfahren in Österreich zu gewährleisten, verbunden natürlich mit mehr Ressourcen für die Justiz, und ich habe ihr auch zugesagt, das zu unterstützen. (Bundesrat Schabhüttl: Wird eh schon Zeit!) Die Ministerin hat darüber hinaus vorgeschlagen, dass es ein Maßnahmenpaket gegen Leaks geben soll, dass durch eine gewisse Digitalisierung der Akten, auch durch eine Kennzeichnung der Akten verhindert werden kann, dass diese hinausgespielt werden, oder. wenn es passiert, es zumindest möglich ist, dies gerichtlich zu verfolgen.

Zum Dritten hat sie eine Stärkung des Rechtsschutzes vorgeschlagen, um sicherzu­stellen, dass so etwas wie der BVT-Skandal nie wieder passieren kann.

Ich habe ihr in all diesen Bereichen meine Unterstützung zugesagt und freue mich darauf, wenn wir als Bundesregierung diese drei Schritte zügig gemeinsam setzen können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf abschließend zusammenfassen, dass ich sehr wohl davon überzeugt bin, dass es gut ist, Missstände anzusprechen, dass es richtig ist, danach zu suchen, wo es Luft nach oben gibt, und dass es gut ist, darüber nachzudenken, wo wir in der Republik Österreich besser werden können. Als Bun­deskanzler habe ich eine Gesamtverantwortung und werde stets auch in Zukunft in Zusammenarbeit mit den Ministerinnen und Ministern in allen Bereichen mitarbeiten, wo ich der Meinung bin, dass es sinnvoll ist, einen Beitrag zu leisten.

In diesem Sinne darf ich jetzt auch zur Beantwortung Ihrer konkreten schriftlich über­mittelten Fragen kommen.

Ich beginne mit den Fragen 1 bis 4 und 10 und darf diese wie folgt beantworten:

Als Bundeskanzler ist es selbstverständlich meine Aufgabe, mich regelmäßig mit allen Mitgliedern der Bundesregierung zu grundsätzlichen und tagespolitischen Themen auszutauschen. Diese Koordinationsaufgabe ist auch explizit im Bundesministerien­gesetz vorgesehen.

Ich stehe ebenso in regelmäßigem Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der Medien. Dazu gehören unterschiedliche Formate, wie Interviews, Gesprächsrunden, Hinter­grund­gespräche. Wie in meinem Eingangsstatement bereits erwähnt, ist die Justiz ein wesentlicher Grundpfeiler unseres Rechtsstaates. Die Unabhängigkeit der Justiz muss gewährleistet sein.

Zu den Fragen 5 und 6:

Als Bundeskanzler nehme ich an zahlreichen öffentlichen Terminen, Events und Ver­anstaltungen teil und treffe dort auf unzählige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Ich gehe fest davon aus, dass ich alle genannten Personen ebenfalls bei unterschiedlichen Veranstaltungen und Terminen getroffen habe oder dort mit ihnen zusammengetroffen bin.

Zu den Fragen 7 bis 9:

Beim Gespräch mit Justizministerin Alma Zadić, Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler und den Standesvertretern der Staatsanwälte am Montag ist es um Missstände, Defizite und mögliche Lösungsansätze gegangen. Wie schon eingangs erwähnt, herrscht Einigkeit darüber, dass es mehr finanzielle Ressourcen für die Ausstattung der Justiz braucht. Wichtig ist auch, dass die Verfahrensdauer dadurch deutlich verkürzt wird und die Qualität der Verfahren gesichert ist. So ist es mit der Justizministerin vereinbart. (Heiterkeit der Bundesrätin Grimling. – Bundesrat Schabhüttl: Na geh!)

Zu den Fragen 11 bis 16:

In der Vergangenheit kam es immer wieder dazu, dass Details aus Verfahren oder Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangt sind. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundes­rates Schabhüttl.) Dabei werden auch vereinzelt Staatsanwaltschaften oder vorge­setzte Stellen als Quellen der Leaks vermutet. (Bundesrat Schabhüttl: Das ist eine Schmähparade!) Wie bereits erwähnt, geht es nicht um konkrete Fälle, nicht um konkrete Personen und auch nicht um konkrete Jahreszahlen (Bundesrat Rösch: Das hat sich aber anders angehört vorhin!), sondern schlichtweg darum, wie Medien an ihre Informationen gelangen.

Über vermutete Leaks wurde, wie schon angesprochen, in der Vergangenheit auch oft berichtet. Ich verweise auf die Tageszeitung „Der Standard“ vom 11. Februar 2020 und die Tageszeitung „Die Presse“ vom 13. September 2019. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Schabhüttl.) Beim Gespräch mit den Standesvertretern, der Justizminis­terin und der Kanzleramtsministerin haben wir vereinbart, dass diese Vorfälle so weit wie möglich unterbunden werden müssen.

Das mir in Frage 12 unterstellte strafrechtlich relevante Verhalten möchte ich aus­drück­lich und auf das Schärfste zurückweisen.

Neben schnelleren Verfahren und der Stärkung des Rechtsschutzes geht es hier um ein treffsicheres Maßnahmenpaket der Justiz gegen Leaks.

Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich danke für Ihre Einladung, wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und freue mich auf die Diskussion. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Grossmann: Nicht beantwortet! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

16.04

Vizepräsident Michael Wanner: Ich gehe davon aus, dass es zu späterer Zeit noch Nachfragen zu den konkret gestellten Fragen geben wird.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates, einer jeden Bundesrätin mit einer Gesamtzeit von 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Ingo Appé. – Bitte.