12.56

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Was wir dieser Tage erleben, ist schon extrem anders – auch in der eigenen Wahrnehmung. Es ist gar nicht so leicht, ich tue mir auch schwer, die Situation – was da jetzt eigentlich passiert und wie sich unser Umfeld verändert – selber zu verinnerlichen. Ich hoffe sehr, dass die BürgerInnen das weiterhin gut mittragen. Das werden keine leichten – mindestens drei – Wochen; vielleicht dauert es länger – wir hoffen nicht.

Es geht schon – auch mir – unter die Haut: geschlossene Geschäfte, leere Straßen, leere Züge – das konnte ich gestern erfahren, es war fast ein Sonderzug von Vorarl­berg nach Wien – und vor allem keine oder kaum mehr direkte Kontakte. Jetzt ist das für uns, die wir alle hier sind, nicht einmal so schwierig, es trifft andere viel härter. Ein Beispiel aus meiner Familie: Meine Mutter ist 93 Jahre alt, wohnt auf dem Land, alleine in einem Haus, bekommt jetzt wochenlang keine Besuche mehr, nicht einmal mehr von ihren Kindern, ist am Telefon verzweifelt, sollte nicht mehr aus dem Haus gehen, außer um sich vielleicht kurz einmal die Beine zu vertreten.

Wir wünschen uns alle – da bin ich mir sicher –, dass dieser Ausnahmezustand – per­sönlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich – möglichst bald vorüber ist, und deswegen ist es extrem wichtig, dass die Regierung entschieden handelt. Dass sie das nicht tue, kann man ihr, finde ich, wahrlich nicht vorwerfen, sowohl was die Eindämmung der Ausbreitung als auch was die Unterstützung der Betroffenen betrifft.

Wir haben alle von einem Hilfspaket von über 38 Milliarden Euro gehört. 38 Milliarden Euro, ich habe mir das oft vorsagen müssen. Es ist eine so unvorstellbare Zahl, eine unvorstellbare Summe für Österreich, wenn man bedenkt, dass der Staatshaushalt um die 82 Milliarden beträgt: 38 Milliarden Euro! Ja, man kann also auch schwerlich behaupten, dass das irgendwie mickrig dotiert wäre. Ich hoffe sehr, dass wir das in diesem Ausmaß nicht brauchen werden.

Vor ein paar Tagen hätte ich es mir auch als Mitglied einer der Koalitionsparteien, ganz ehrlich, nicht träumen lassen, dass eine Regierung sagt: „Koste es, was es wolle“. Das ist schon eine sehr weitreichende und klare Aussage. Ich denke, alle – auch wir – werden sie beim Wort nehmen, und klar – das muss man jetzt auch sagen –: Bei der Geschwindigkeit, in der jetzt alles in Paragrafen gegossen wird und wurde, kann man nicht alles bedenken. Da kann man nicht alle Umsetzungsfragen klären, und darum wird es wohl da und dort auch noch zu Korrekturen und Nachbesserungen kommen. Ich denke, das ist kein Malheur, diesen Mut muss man dann auch haben, und das wird auch geschehen, da bin ich mir sicher.

Mit den sehr massiven Hilfen für Betriebe aller Art soll ja erreicht werden – das ist ja die Logik dahinter –, dass es möglichst wenige Kündigungen gibt, dass also Arbeit­neh­merInnen weiterhin ihren Lohn erhalten, dass sie ihre Miete bezahlen können, ihre Lebenshaltungskosten bestreiten können. Wir hoffen sehr, dass das, auch wenn es jetzt eine Kündigungswelle gegeben hat, insgesamt trotzdem funktionieren wird, weil es sonst noch einmal teurer wird, wenn alle diese Menschen dann in der sozialen Versorgung, die es zum Glück ja gibt, landen.

Ich greife ganz kurz ein paar exemplarische Zugänge heraus. Da ist zunächst der Härtefallfonds, der jetzt mit 1 Milliarde Euro dotiert ist. Der zielt vor allem auf eine ganz wichtige Gruppe ab, nämlich auf die ganz kleinen Unternehmen, die vielen Tausend EPUs, die es in Österreich gibt, freie DienstnehmerInnen, Non-Profit-Organisationen. Es sind viele, die keine Sicherheit haben, die für ihre Selbstständigkeit ein enormes Risiko eingehen und die auch oft de facto keine Kapitaldecke haben. Umso wichtiger ist es – das hat die Regierung versprochen –, dass diesen Unternehmerinnen und Unternehmern sehr, sehr schnell geholfen wird, dass binnen Tagen Geld fließen kann.

Die Kurzarbeitsregelung möchte ich auch noch einmal betonen, weil sie ein extrem attraktives Modell für Arbeitgeber ist. Sie bezahlen nur das, was wirklich geleistet wird, ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kündigen. Die Differenz übernimmt zum größten Teil der Staat. Eine Reduktion ist bis hinunter auf 10 Prozent der regulären Arbeitszeit möglich, vorübergehend sogar eine Senkung auf null.

Ein Rechenbeispiel, was das zum Beispiel bei einer 10-Prozent-Beschäftigung heißt: Wenn ein Arbeitnehmer bisher ein Entgelt von brutto 2 000 Euro hatte, dann bleiben ihm mit dem Nettolohnersatz, den die Regierung jetzt gewährt, 85 Prozent des Netto­gehaltes. Dem Arbeitgeber – jetzt wird es noch spannender – bleiben effektive Kosten von 317 Euro statt 2 600. – Das ist schon cool, finde ich. Da möchte ich jetzt auch den Appell an die Betriebe richten: Bitte kündigen Sie Ihre MitarbeiterInnen nicht! Nutzen Sie dieses Modell! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Es sind wirklich alle aufgerufen. Wir richten unsere Appelle an die Bürgerinnen und Bürger. Genauso sind auch die Betriebe aufgerufen, das mitzutragen und die Angebote zu nutzen, die die Regierung bereitgestellt hat.

15 Milliarden Euro werden für Nothilfen bereitgestellt. Das richtet sich vor allem an Betriebe, die jetzt von Schließungen betroffen sind, also zum Beispiel die ganze Gastronomie und der allergrößte Teil des Einzelhandels.

5 Millionen Euro gibt es zusätzlich für KünstlerInnen zur Abfederung ihrer Einnah­men­ausfälle. Das ist uns auch ganz wichtig gewesen. Immerhin sind de facto alle Kulturver­anstaltungen abgesagt. Die KünstlerInnen haben überhaupt keine Möglichkeit mehr, zu einem Einkommen zu kommen.

Ein großes Anliegen ist uns – das ist auch schon angesprochen worden –, jene Men­schen nicht zu vergessen, die ganz unten in der Einkommensskala sind. Niemand darf durch Corona seine Wohnung verlieren oder in noch größere Schwierigkeiten geraten. Ich persönlich kann zum Beispiel den Vorschlägen der Volkshilfe viel abgewinnen. Sicher bin ich mir auf jeden Fall, dass sich unsere Leute in der Regierung für diese ganz besonders stark betroffenen Gruppen, die bisher schon um ihre materielle Exis­tenz kämpfen mussten, einsetzen werden. Das ist immerhin Teil unserer grünen Gene. Niemand soll zurückgelassen werden, lautet auch das Versprechen, das von der Re­gierungsbank aus gegeben wurde.

Es ist zu Recht schon viel gedankt worden. Man kann nicht allen danken, und darum habe ich mir überlegt, einen Akzent zu setzen. Es sind zwei Akzente geworden: Wir danken den Frauen, weil sie es sind, die in zentralen Bereichen weit überproportional vertreten sind – in den Krankenhäusern, in der gesamten Pflege, in der Kinder­betreuung, im Lebensmitteleinzelhandel. Die Frauen haben diesen Dank verdient. Ich danke auch unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich in dieser Krise hervor­ragend engagiert. Das zeigt auch – dies als Nebenbemerkung –, dass ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk wichtig und unverzichtbar ist. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Ich bringe noch zwei Anträge ein:

Antrag

gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR

der BundesrätInnen Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen zu TOP 4, Beschluss des Nationalrates vom 20. März 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Rechtsanwaltsordnung, die Notariatsordnung, das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, das EIRAG, das Notariatsprüfungsgesetz, das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden

Die unterzeichneten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.“

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Antrag

gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR

der BundesrätInnen Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen zu TOP 5, Beschluss des Nationalrates vom 20. März 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Übergabeverfahren mit Island und Norwegen (Island-Norwegen-Übergabegesetz – INÜG) erlassen wird sowie die Strafprozeß­ord­nung 1975, das Jugendgerichtsgesetz 1988, das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten, das Börsegesetz 2018 und das Tilgungsgesetz 1972 geändert werden

„Die unterzeichneten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.“

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Bleiben Sie gesund und so viel es geht zu Hause! – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Novak.)

13.05

Vizepräsident Michael Wanner: Beide eingebrachten Anträge sind genügend unter­stützt und stehen somit in Verhandlung.

Frau Bundesministerin Dr. Schramböck, Sie haben sich als Nächste zu Wort gemel­det. – Ich erteile es Ihnen.