13.01

Bundesrat Horst Schachner (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Ver­ehrtes Präsidium! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Liebe Zuseherinnen und Zuseher daheim vor dem Fernseher!

Man muss sich einmal vorstellen, man trägt 70 Jahre einen Regenschirm mit, damit man einen Schutz hat, wenn es zu regnen beginnt, und dann, wenn es wirklich zu reg­nen anfängt, nimmt man den Regenschirm und schmeißt ihn einfach weg. – So ist das mit unserem Epidemiegesetz, sehr geehrte Damen und Herren, das wir seit 1950 ha­ben. In diesem Epidemiegesetz ist der Verdienstentgang für Unternehmen geregelt. Das heißt, dass Unternehmen eine Rückerstattung vom Staat Österreich aus dem Bun­desschatz – so wie es darin heißt – bekommen und ihre Ausgaben decken können. Wenn das so wäre, könnten Unternehmen in Österreich weiterhin Löhne und Gehälter bezahlen, und wir hätten bei Weitem nicht so viele Arbeitslose.

Die Bundesregierung hat diesen Teil mit dem Coronagesetz, mit dem ersten COVID-19 Gesetz, außer Kraft gesetzt. Das war ein fataler Fehler, sehr geehrte Damen und Her­ren! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Für mein Empfinden hat die Bundesregierung am Anfang eigentlich sehr gut gearbei­tet. Sie hat in Österreich sehr gute Aufklärungsarbeit gemacht. Das hat sie wirklich su­per gemacht, das muss man wirklich sagen. Jetzt aber stellt sich schön langsam he­raus, dass immer mehr Ankündigungspolitik gemacht wird. Warum sage ich Ankündi­gungspolitik? – Die Maßnahmen, die Sie beschließen, werden einfach nur langsam umgesetzt oder viel zu spät umgesetzt.

Wenn ich nur an die Schutzmasken denke: Dazu hat es diesen Montag eine Pres­sekonferenz des Bundeskanzlers gegeben. Bei dieser Pressekonferenz hat er gesagt: Ab Mittwoch müssen alle diese Schutzmasken tragen. – Was ist dann passiert? – Ein paar Stunden später haben wir in der APA gelesen, dass das nicht am Mittwoch pas­siert, sondern erst am Montag darauf, also erst übermorgen sein soll, weil die meisten Geschäfte noch gar keine Schutzmasken gehabt haben. Das ist das riesengroße Pro­blem.

Wenn ich daran denke, sehr geehrte Damen und Herren, was vorige Woche am Frei­tag ebenfalls bei einer Pressekonferenz im Fernsehen angesprochen wurde, nämlich die Risikogruppe, die man besonders schützen soll und die bezahlt zu Hause bleiben soll: Bis zur Nationalratssitzung gestern wusste noch niemand, wer zur Risikogruppe gehört, wer die Freistellung bezahlt und wie das danach mit dem Kündigungsschutz ausschaut. Das muss doch bitte jeder wissen, dass, wenn jemand heute in einem Be­trieb arbeitet und sagt: Ich gehöre zu einer Risikogruppe!, man sich dann im Betrieb ir­gendwann, sobald er wieder zu arbeiten anfängt und die Krise vorbei ist, überlegt: Was mache ich mit diesem Mitarbeiter? Behalte ich den oder einen anderen? – Ein Kündi­gungsschutz ist von der Regierung bis jetzt nicht vorgesehen worden.

Sie haben gestern festgelegt, dass man mit Krankschreibung zu Hause bleiben kann und dass die Kosten aufgrund der Krankschreibung durch den Hausarzt beziehungs­weise über die Refundierung durch den Bund an die Österreichische Gesundheitskas­se mehr oder weniger wieder zurückfließen. Nur: Der Anspruch auf einen Kündigungs­schutz ist nicht gesetzlich vorgesehen. Wo, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, bleibt da der Schulterschluss? Wo bleiben da die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? (Beifall bei der SPÖ.)

Was die Gesundheitshotline 1450 betrifft – Kollege Leinfellner hat vorhin ein bisschen darüber gesprochen –, kann ich euch von Erfahrungen aus meiner eigenen Familie er­zählen. Meine Schwägerin hat vor drei Wochen Fieber bekommen und dann probiert, 1450 anzurufen. Bei 1450 ist sie dann nach 7 Stunden durchgekommen. Nach 7 Stun­den waren die ersten Fragen folgende: Waren Sie in einem Hotspot? Waren Sie in Ti­rol oder in Vorarlberg Ski fahren? Waren Sie in Italien? Waren Sie mit einem Corona­infizierten zusammen? (Heiterkeit bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Es ist aber purer Ernst, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dieser Arzt hat dann gesagt: Wenn das nicht der Fall ist, dann können Sie zu Hause bleiben; rufen Sie Ihren Haus­arzt an, Sie können daheimbleiben, das wird wahrscheinlich ein grippaler Infekt sein! – Der Ernst kommt jetzt: Zwei Tage später erkrankt mein Bruder und fünf Tage später wird meine Schwägerin mit dem Notarzt ins Spital geführt. Der Notarzt hat dann fest­gestellt, dass sie sehr wohl eine Coronainfektion haben – darauf will ich aber gar nicht hinaus. Sie ist dann im Spital geblieben und hat gesagt, ihr Mann liege mit 39 Grad Fieber alleine zu Hause, ihn sollten sie auch testen. Da haben sie gesagt, das würden sie schon machen, nur keine Sorge. – Das ist jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, un­gefähr drei Wochen her. Noch niemand war bei meinem Bruder zu Hause und hat ihn getestet.

Deshalb ist die Statistik, die man da führt, einfach keine ordentliche Statistik, weil man nicht weiß, wie viele Leute wirklich mit dem Coronavirus infiziert sind. Deshalb müssen wir unbedingt die Dunkelziffer ausforschen und – so wie es unsere Bundesparteivorsit­zende Dr. Pamela Rendi-Wagner schon vor längerer Zeit gesagt hat – testen, testen, testen, was hoffentlich in nächster Zeit passieren wird.

Wenn ich daran denke, dass wir fast 600 000 arbeitslose Menschen in Österreich ha­ben – die höchste Arbeitslosenquote seit 1946! –, dann muss ich sagen, das ist eine Katastrophe! In Deutschland gibt es einen weitaus geringeren Arbeitslosenzuwachs als bei uns. Welche Fehler, sehr geehrte Damen und Herren, wurden da in Österreich ge­macht? – Wir sind das viertreichste Land in Europa und haben beim Arbeitslosengeld eine Nettoersatzrate von nur 55 Prozent. Andere europäische Länder wie Lettland, Portugal, Deutschland, Belgien, Frankreich, die Niederlande, Finnland, Schweden und sogar Italien haben höhere Nettoersatzraten.

Jetzt muss man sich einmal vorstellen, wie es Menschen geht, die 1 800 Euro netto im Monat verdienen, die dann schuldlos in die Arbeitslosigkeit geschickt werden und mit dem Arbeitslosengeld knapp 1 000 Euro bekommen. Wie soll sich der- oder diejenige das Leben leisten? Wie soll sich das ausgehen? Wie sollen diese Menschen Miete zahlen? Wie sollen sie vielleicht ein Auto erhalten oder die Kosten fürs Leben be­streiten? – Das funktioniert so nicht, und das kann so auch nicht gehen.

Dann hört man noch, dass die Mieten ja eingefroren werden können. Die Mieten wer­den eingefroren und man braucht vielleicht erst vier oder fünf Monate später zu zahlen. Da aber frage ich Sie auch: Wer kann mit 1 000 Euro monatlich dann fünf Monate spä­ter fünf Monatsmieten zurückzahlen? – Das wird sich so in dieser Form nicht ausgehen. Daher brauchen wir auch einen nationalen Schulterschluss für eine Anhebung der Netto­ersatzrate auf 70 Prozent. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer.)

Deshalb brauchen wir einen Überbrückungsfonds für Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer, der mit 1 Milliarde Euro dotiert sein soll: für Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte, für geringfügig Beschäftigte, AlleinerzieherInnen, Künstler und diejenigen, die ihre An­gehörigen pflegen.

Es ist gut, dass es jetzt 2 Milliarden Euro für KMUs und EPUs, also für die Klein- und Mittelbetriebe und die Einpersonenunternehmen, gibt. Auf der Strecke bleiben immer wieder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wo ist der nationale Schulterschluss für diesen Überbrückungsfonds, sehr geehrte Damen und Herren?

Auch in den Bereichen des täglichen Bedarfs, also etwa beim Lebensmitteleinkauf, bei Arzneien oder Hygieneartikeln, darf es in der jetzigen Lage zu keinen zusätzlichen Be­lastungen kommen. Atemmasken oder Desinfektionsmittel dürfen nicht zu Luxusarti­keln werden und zu Wucherpreisen verkauft werden (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer) – wenn man sie überhaupt bekommt. Auch da muss die Bundesregierung handeln und Preisobergrenzen festsetzen.

Zum Schluss, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich noch die Zivildiener erwäh­nen. Da werden Zivildiener nach neun Monaten noch für drei Monate zwangsver­pflichtet und bekommen die Hälfte des Lohns der freiwilligen Zivildiener. Das ist eine Ungerechtigkeit in diesem Land, und es kann nicht sein, dass es dort hapert, dass man sagt: Okay, die bekommen nur die Hälfte!

Ich sage euch ganz ehrlich: Ich komme aus der Gewerkschaft, sehr geehrte Damen und Herren, und mein Herz brennt dafür, weil gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ös­terreich eine Selbstverständlichkeit sein muss. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundes­rates Schererbauer.)

Ich bringe jetzt auch zwei Entschließungsanträge ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Errich­tung eines Überbrückungsfonds für ArbeitnehmerInnen“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend einen Krisenüberbrückungsfonds für ArbeitnehmerInnen zu schaffen, der mit mindestens einer Milliarde Euro dotiert ist, bei höherem Bedarf aufgestockt werden kann und aus dem nicht rückzahlbare Leis­tungen gewährt werden sollen. Unter anderem:

1. ein 30-%iger Zuschlag zu allen Arbeitslosenversicherungsleistungen (Arbeitslosen­geld und Notstandshilfe inklusive der Familienzuschläge),

2. Zuschüsse für, durch die Corona-Krise in finanzielle Bedrängnis geratene, Ar­beitnehmerInnen z.B. zur Zahlung von Mietrückständen, Kreditraten, Strom- oder Gas­rechnungen usw. sowie

3. temporäre Einkommensersatzleistung für geringfügig Beschäftigte, die keinen Arbeits­losengeldanspruch haben und ArbeitnehmerInnen, die aus anderen Gründen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben (z.B. aufgrund von zu wenig Vordienstzeiten) und die seit Anfang März gekündigt wurden.“ 

*****

Danke schön.

Ich bringe den zweiten Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Keine Preistreiberei beim täglichen Einkauf!“ 

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat und dem Bundesrat umge­hend eine Regierungsvorlage zur Festlegung von temporären Preisobergrenzen für Endverkaufspreise von Grundnahrungsmitteln, Hygieneartikeln (z.B.: Desinfektionsmit­tel, Seife) sowie Arzneimitteln und Heilbehelfen (inkl. Atemschutzmasken) vorzulegen.“

Die Bundesministerin für Justiz wird aufgefordert, dem Nationalrat und dem Bundesrat umgehend einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, in dem die Bestimmungen des StGB für Fälle einer allgemeinen Notsituation, wie es eine Zwangslage durch Pandemie dar­stellt, adaptiert werden und dafür ein qualifizierter Tatbestand, der strengere Strafen vorsieht, geschaffen wird“

*****

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstützung für diese beiden An­träge. Bleiben Sie alle gesund! Ein herzliches Glückauf! (Beifall bei der SPÖ.)

13.13

Präsident Robert Seeber: Der von den Bundesräten Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend die „Errichtung eines Über­brückungsfonds für ArbeitnehmerInnen“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung. Auch der von den Bundesräten Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Keine Preistreiberei beim täglichen Einkauf!“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Bernhard Rösch. Ich erteile ihm dieses.