21.24

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherInnen via Livestream! Ich durfte Ende Mai dieses Jahres eine hundertjährige Zeitzeugin, Frau Dr. Susanne Bock, in einem Pensionistenpflegeheim in Wien besuchen. Sie ist Wienerin, sie ist Jüdin und sie hat mir erzählt, dass sie mit 18 Jahren, gerade am Tag nachdem sie die Matura gemacht hat, aus Wien fliehen musste, weil man ihr geraten hatte, besser zu gehen, da sie ihres Lebens nicht sicher sei.

Es ist fast ein Wunder, dass sie 1946, eigentlich relativ bald nach Ende des Krieges, wieder nach Wien zurückgekehrt ist. Sie ist der Liebe wegen zurückgekehrt, sie hat ihre große Liebe gesucht und auch wieder gefunden – eine sehr rührende Geschichte, man kann sie auch nachlesen.

Die hundertjährige Susanne Bock hat im Jänner dieses Jahres am Holocaustgedenktag am Heldenplatz – hier gleich um die Ecke – zu uns gesprochen, und davon möchte ich einen kurzen Abschnitt zitieren. Sie sagte: „Es erstaunt und erschreckt mich immer noch, dass sie so viele Handlanger gefunden haben, die schrecklichen Mordtaten in den Kon­zentrationslagern auszuführen. Und sogar heute, so viele, viele Jahre nach Kriegsende, können jüdische Menschen nicht ungestört leben und sterben! Ich bin eine betagte Zeitgenossin, ich bitte Euch zu versprechen: Niemals wieder, niemals vergessen! Das schwören wir!“ (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Susanne Bock genauso wie Simon Wiesenthal – meine Vorrednerin, Kollegin Neurauter hat es schon erwähnt –: Beide haben es sich zum Ziel gesetzt oder zur Pflicht gemacht, vor dem Vergessen der Schoah zu warnen und eben mit diesem Hinweis – meine Kollegin hat es zitiert –, dass es nicht bei den Gaskammern und nicht beim Massenmord begonnen hat, sondern mit ganz vielen, kleinen Schritten, die uns alle ermahnen, wach­sam zu sein, wenn es um die Demontage der Demokratie, um das Infragestellen von Menschenrechten geht.

Man muss ehrlicherweise auch sagen, dass sich die Republik Österreich lange genug selber gerne als Opfer gesehen und dargestellt hat. Man muss einmal diese Kraft auf­bringen, die diese beiden Menschen auch eint, sich nämlich als Betroffene bezie­hungsweise Betroffener dieser Nazi-Gräueltaten auch unter Drohungen und Anfein­dungen gegen diese Lüge stellen zu müssen. Diese beiden Personen haben das erlebt und wurden dadurch auch immer wieder retraumatisiert. Sie haben viel Kraft gebraucht und es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis sie auch hier in Österreich Gerechtigkeit erfahren haben. So ehrlich muss man auch sein.

Warum brauchen wir heute so einen Preis, wo doch dieses Wissen und dieses Be­wusstsein schon verbreitet sein könnte? Es ist leider nach wie vor sehr, sehr notwendig, sehr bewusst und sehr aktiv auf den Nationalsozialismus, seine Gräuel und die vielen Ermordeten und Vertriebenen hinzuweisen. Wir wissen, dass Nationalismus, Antise­mitis­mus, Rassismus und Rechtsextremismus (Bundesrätin Mühlwerth: Linksextremis­mus!) nach wie vor verbreitet sind und leider noch nicht zur Geschichte gezählt werden können. Ich erinnere nur an die mutwilligen Zerstörungen der Porträts von Überleben­den, die keine paar Monate zurückliegen. Sie erinnern sich noch, es mussten Menschen aus der Zivilgesellschaft Tag und Nacht Wache stehen, damit die Porträts von Zeit­zeugInnen und Überlebenden nicht mehrfach demoliert und sozusagen misshandelt wurden. Das muss man sich vorstellen, wir schreiben das Jahr 2020!

Dass das keinesfalls ein Einzelfall ist, zeigt auch der Antisemitismusbericht für das Jahr 2019: Es wurden 550 antisemitische Vorfälle dokumentiert. Das ist ein enormer Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Kollegin Mühlwerth, du hast diesen Bericht zitiert, ich möchte dazu noch ein paar Informationen nachreichen: Von diesen 550 Meldungen waren 268 eindeutig der rechtsextremen Szene zuordenbar, 31 haben einen islamischen Hintergrund und 25 einen linksextremen. – Einfach nur, um das Verhältnis, von dem hier gesprochen wird, auch noch einmal klarzustellen. (Vizepräsident Buchmann übernimmt den Vorsitz.)

Die Dokumentationsstelle Zara – Zivilcourage und Antirassismusarbeit – berichtet eben­falls von sehr stark steigenden Zahlen rassistischer Übergriffe. Man kann jetzt sagen: Ja, das Bewusstsein für rassistische Übergriffe ist dieser Tage sehr hoch, und ja, es ist auch gut, dass mehr angezeigt und an die Öffentlichkeit gebracht wird!, wir wissen aber dennoch, dass es immer nur die Spitze eines Eisberges ist, und insofern begrüßen wir, begrüßt meine Fraktion die Einrichtung dieses Preises natürlich sehr, weil es auch eine Art ist, Prävention in diesem Bereich voranzutreiben. Dieser Preis richtet sich nämlich auch an Institutionen, auch an Schulklassen, und wir hoffen, dass aus diesem Bereich auch viele Einreichungen kommen werden.

Da ich von der Spitze des Eisberges gesprochen habe, noch ein Wort zur FPÖ und zu dir, Monika Mühlwerth: Du hast ein bisschen selbstmitleidig über die Debatte im Natio­nalrat gesprochen. So wie ich es im Ausschuss mitbekommen habe, werdet ihr der Einrichtung dieses Preises heute voraussichtlich wieder nicht zustimmen. Ich weiß, ihr argumentiert immer, dass auch andere antisemitisch sind und dass es neben Rechtsextremen auch andere Extreme gibt, wenn man aber aus einer Partei und von ihren Mitgliedern quasi wöchentlich Mitteilungen (Bundesrätin Mühlwerth: Wöchent­lich?! Wo hast du das her?), wie die Dinge aus der letzten Vergangenheit, bekommt (Bundesrätin Mühlwerth: Wo hast du das her?) – im Zusammenhang mit Menschen wird von Unkrautbekämpfung gesprochen, in Liedern wird nach wie vor über die industrielle Vernichtung von Juden und Jüdinnen gewitzelt (Bundesrätin Mühlwerth: Das sind natürlich alles FPÖler! Das weiß die Frau Gruber-Pruner genau!) –, dann kann man sich nicht erwehren, dass es in dieser Partei, in dieser Gesinnungsgruppe eine gewisse Grundhaltung gibt, die zu einer Spaltung der Gesellschaft beiträgt (Bundesrat Steiner: Das ist eine ungeheure Unterstellung!) und auch gewisse Konsequenzen in Kauf nimmt, mit denen kalkuliert. (Bundesrat Steiner: Eine ungeheuerliche Unterstellung! Schämen Sie sich! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ja, auch in anderen Parteien und auch in meiner eigenen Partei war Antisemitismus und ein erschreckend unreflektierter Umgang mit dem Holocaust über viele Jahre Thema, das will ich gar nicht verleugnen. (Bundesrat Steiner: Das rote Lamperl leuchtet schon!) Ich kann aber zumindest für meine Partei behaupten, dass wir das überwunden haben. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Und das ist halt der Unterschied: dass wir uns als Partei weiterentwickelt haben, dass wir zu unserer Verantwortung stehen, dass wir auch zur Mitschuld Österreichs stehen und dass wir ein ganz klar antifaschistisches und antiras­sistisches Verständnis haben. (Bundesrat Steiner: Und gemeinsam mit der Antifa mar­schieren! Gratuliere!) Darauf bin ich stolz! Dort sollten wir im Jahr 2020 alle sein! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der Grünen. – Bundesrat Steiner: Gemeinsam mit der Antifa marschieren! Scheiben einschlagen in Wien! Gratuliere! – Weitere Zwischen­rufe bei der FPÖ.)

Simon Wiesenthals Mahnung: Nie wieder!, ist dauerhaft aktuell und es ist gut, dass wir diese Mahnung mit diesem Preis dauerhaft wachsam halten. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen. – Bundesrätin Mühlwerth: Das gilt aber nur für die ..., nicht für alle!)

21.33

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Bitte, Herr Kollege.