14.44

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi­nisterin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die zuschauen! Natürlich möchte auch ich als Wiener Bundesrat heute meiner Liebe zu dieser Stadt Ausdruck verleihen, denn ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir heute mitnehmen müssen: Was ich seit Montag erlebe, ist kein türkises, kein rotes, kein blaues, kein pinkes, kein grünes Wien. Es ist kein heterosexuelles oder homosexuelles Wien, es ist kein weibliches Wien, es ist kein männliches Wien, es ist kein unternehmerisches Wien, kein ArbeitnehmerInnenwien, kein ArbeitgeberInnenwien. Es ist ein Wien. Es ist ein Wien, in dem man füreinander da ist, wenn Not da ist. Das ist etwas, was wir lernen konnten und zu einem gewissen Grad auch lernen müssen. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Viele von uns sind Wiener BundesrätInnen, heute sind einige wahrscheinlich das letzte Mal hier. Das ist ja so, weil es Wechsel gibt. Von einigen werden wir uns verabschieden, und mir ist wichtig, zu sagen, auch denen, mit denen wir uns manchmal hart auseinan­dersetzen: Wir retten einander, wenn es notwendig ist, und das ist eine wichtige Lehre, finde ich.

Frau Kollegin Mühlwerth hat das Wort schon verwendet, das in Wien für den Täter gefun­den worden ist, und ich finde es auch richtig, ihm mit Verachtung zu begegnen, ihn nicht zu einem Helden oder Märtyrer zu machen, sondern ihm genau das entgegenzuschleu­dern, was ihm jetzt ganz Wien entgegenschleudert, und dass wir die Opfer in den Vor­dergrund rücken, aber auch den Zusammenhalt, den dieses Attentat zur Folge hatte.

Ich möchte mich natürlich auch bei den Einsatzkräften, vor allem bei den Rettungs­kräften, bei der Feuerwehr, bei der Polizei und bei allen Helfern und Helferinnen bedan­ken, auch bei den drei jungen Männern, die dann sofort unter Beschuss geraten sind, aber nicht gezögert haben, zu helfen, und uns auch gezeigt haben, dass es keine Aus­einandersetzung zwischen irgendwelchen Religionen ist, sondern ein Kampf zwischen Fanatisierten und Friedfertigen. Das ist kein Kampf der Religionen.

Um den Bogen zur Digitalisierung und zu dieser Aktuellen Stunde zu schlagen – das ist sehr schwierig –, kann man vielleicht schon auch kurz einmal streifen, wie Fanatismus entsteht, auch in einer digitalen Welt, denn ich möchte schon festhalten, dass die US-amerikanischen Konzerne wirklich in der Pflicht sind, diesbezüglich radikal umzudenken und neue Wege zu finden.

Ich habe zufällig ein niederländisches Programm verfolgt, in dem ein Journalist mit einem neuen Computer, einer neuen Identität, also ohne dass sein Verlauf, seine Cookies ge­speichert waren, mit neu aufgesetztem Computer und neuem Google-Profil auf Youtube: Covid-19-Test sicher?, gesucht und dann dokumentiert hat, welche Videos Youtube in der Folge zeigt und welche anderen Videos empfohlen werden. Er ist immer mehr in diese Verschwörungserzählung, in die Fanatisierung gerutscht und war am Schluss so­zusagen in seiner digitalen Identität, die nicht seine eigene war, ein Q-Anon-Anhänger.

Das ist tatsächlich eine Form der Digitalisierung – und deswegen passt das auch zum heutigen Tag –, der wir als Demokratie entschieden entgegentreten müssen, uns dafür einsetzen müssen, dass das gestoppt wird, und da sind die amerikanischen Konzerne, und nicht nur die, sondern alle diese Konzerne tatsächlich in der Pflicht.

Zur Arbeitswelt, die im Zuge dieser Digitalisierungsdebatte auch genannt wurde: Wir hat­ten ja schon sehr viele technologische Erfindungen, die unsere Arbeitswelt radikal ver­ändert haben: die Sesshaftwerdung, die Erfindung des Rades, die industrielle Revolution wurde schon genannt. Ich möchte nur einen Bereich hervorheben, weil das noch gar nicht so lange her ist und wir vergessen, welche radikalen Veränderungen eine techno­logische Erneuerung zur Folge hatte: Das war die Elektrifizierung von Haushalten. Da­mals, in einer noch in sehr traditionellen Rollenbildern lebenden Gesellschaft waren ja vor allem Frauen zu Hause zu Knochenarbeit verdonnert. Die Elektrifizierung von Haus­halten – sie ist ungefähr 100 Jahre her – hat tatsächlich dazu geführt, dass die Gesell­schaft völlig erneuert worden ist und in der Arbeitswelt völlig neue Dynamiken entstan­den sind. Auch die Erfindung des Buchdrucks kann man als Beispiel nennen. So ähnlich muss man auch die Digitalisierung, die wir derzeit leben, sehen: als eine völlig neue Kraft, die unsere Arbeitswelt verändert.

Richtig ist auch, was Frau Kollegin Schumann gesagt hat: Wie bei der Elektrizität sind bei der Digitalisierung die Ersten, die die Neuerungen zu spüren bekommen, zum Bei­spiel im Homeofficebereich, die Frauen. Natürlich – da haben Sie auch recht, Frau Schu­mann – sind all die Fragen, die jetzt um Kinderbetreuung, Homeworking und Vereinbar­keit entstehen, nicht nur Frauenthemen, es sind auch Familienthemen, es sind auch Männerthemen, das sind unser aller Themen. Sie haben recht, daran werden wir alle gemeinsam noch hart arbeiten müssen.

Corona hat da ja auch zu einem Boost beigetragen, der vielleicht zu einem gewissen Grad auch gut ist – wenn man eine Lehre aus einer Katastrophe ziehen möchte –, weil Menschen jetzt tatsächlich völlig neue Dinge erleben und daraus lernen. Ich hatte einen großen Kongress und wollte einen Experten aus New York einladen, dann war der in einer Zoom-Konferenz dabei, und da habe ich bemerkt: Eigentlich muss ich keinen Flug und kein Hotelzimmer bezahlen. – Da ändert sich also auch etwas.

Ich bin ja noch immer stellvertretender Obmann in der Fachgruppe Werbung und Markt­kommunikation, und gerade Werbeagenturen sind so eine ganz typische Branche, in der diese Veränderungen jetzt ganz stark bemerkbar sind, in der sich ganz neue Dinge auftun, die auch für uns im Bundesrat, weil wir ja auch so gerne von der Entwicklung des ländlichen Raumes reden, interessant sind. Das ist tatsächlich eine neue Fragestellung, auf die wir jetzt sicher noch nicht die Antwort wissen, ich werde mich jetzt nicht hier­herstellen und Prophet spielen und so tun, als wüsste ich, wie es in 20 Jahren ausschaut, weil wir es de facto alle nicht wissen; aber wir bemerken ja, dass sich da etwas tut. Beispielsweise wird ein Grafiker oder eine Grafikerin, der oder die nicht im täglichen Kundenkontakt ist, feststellen: Na, eigentlich kann ich das zu Hause in Hollabrunn ge­nauso machen und brauch keine teure Wohnung in der Stadt!

Dann kommt aber das nächste Problem, und das kenne ich aus der unternehmerischen Perspektive: Kreative Prozesse benötigen auch immer wieder das Kollektiv, brauchen auch immer wieder den Austausch. Ich finde, immer wenn wir über digitale Kompetenzen sprechen, müssen wir auch über die menschlichen Kompetenzen sprechen, weil das eine ohne das andere nicht funktioniert. Empathie, Kreativität, das ist noch etwas zutiefst Menschliches; und auch wenn ich weiß, dass Artificial Intelligence Texte schreiben kann, so sind die von Menschen geschriebenen Texte besser. Das ist so.

Auch wir als Unternehmer werden aber lernen müssen, dass die Kontrolle vielleicht nicht mehr über die Präsenzkultur funktioniert, die immer so wichtig war, dass man genaue Zeiten sagt, zu denen man da sein muss, sondern dass möglicherweise Ergebnisse wichtiger sind als Präsenz, als Zeiten. Das wird noch zu Veränderungen führen, die wir noch gar nicht abschätzen können.

Ich möchte alle hier einladen, gemeinsam daran zu arbeiten, denn ich glaube, die Digita­lisierung ist neben dem Gesundheitsbereich vor allem jetzt in der Coronakrise und im Kampf gegen den Klimawandel das entscheidende Thema der Zukunft, bei dem wir alle zusammenhalten sollen, weil wir einander helfen, wie wir es in dieser Woche gelernt haben. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

14.53

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck. – Ich erteile es Ihnen; auch Ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. Bitte, Frau Bundesministerin.