17.03

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Präsident! Hohes Haus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist so eine Dringliche Anfrage generell kein Austausch von Höflichkeiten, und bevor auch ich mich dem nicht gänzlich verschließe, möchte ich trotzdem zu Beginn noch sagen, dass es mich freut, dass ich wieder im Bundesrat bin. Manche von Ihnen wissen, ich bin schon einmal 20 Jahre lang hier gewesen. Mich freut es nun, so viele neue Kolleginnen und Kollegen kennenlernen zu dürfen, es freut mich auch, einige KollegInnen wiedergetroffen zu ha­ben, die damals schon da waren. Zudem freut es mich natürlich auch – bei den Männern, glaube ich, darf ich das sagen –, die alten Haudegen wiederzusehen und hier die nächs­ten Jahre wirken zu dürfen.

Zur Diskussion zur Dringlichen Anfrage: Ja, ich will jetzt nicht sagen, es hat sich nicht viel geändert, aber Kollege Steiner, glaube ich, kommt ja aus Tirol (Bundesrat Steiner: Ja, richtig!), wenn ich das richtig mitbekommen habe. Jede Partei sagt irgendwann ein­mal über bestimmte Vertreter etwas Populistisches, und da beginne mit etwas Populis­tischem, das einmal ein ÖVP-Politiker aus Tirol gesagt hat. Daran kann ich mich erin­nern: Im Jahr 1991, als damals am Tisenjoch der Ötzi gefunden worden ist, hat es in Tirol einen Landeshauptmann Partl gegeben. Dieser war ganz begeistert von der Dis­kussion, da zwischen Südtirol und Nordtirol oder Tirol gestritten worden ist, wem nun der Ötzi gehört. Dann ist ja auch kalkuliert worden, was der Ötzi wert ist, und damals hat Landeshauptmann Partl gesagt (den Tiroler Dialekt nachahmend): Wenn man bei dieser Diskussion sieht, was ein toter Tiroler wert ist, dann kann man sich erst ausrechnen, was ein lebendiger Tiroler wert ist. (Beifall des Bundesrates Bader. – Bundesrat Steiner: ... Dialekt ... Entwicklung ... Das ist voll peinlich! Wenn man’s nicht kann, soll man’s las­sen!) – Bitte?

Diese Diskussion über den lebendigen Tiroler erinnert mich daran – sie sollte oder kann uns alle daran erinnern, wenn es uns interessiert –, dass natürlich das Menschenleben tatsächlich das Wertvollste ist, was es gibt. Das Menschenleben ist das, was nicht mit Geld abgeglichen werden kann. Genau da ist es dann so schwierig, Maß zu nehmen und zu sagen: Wie viel darf uns ein einzelner Mensch, dem wir das Leben retten, wert sein?

Im Rahmen dieser Krise ist es natürlich auch noch so, dass es, wenn Menschenleben gerettet werden, nicht die klassische Situation ist, dass ein Nichtschwimmer aus dem Becken gezogen wird und man dann weiß, welchem Nichtschimmer das Leben gerettet worden ist und wer ihn aus den Becken gezogen hat, wenn da der Gerettete und dort der Lebensretter ist. Das passiert in dieser Krise natürlich wesentlich unsichtbarer, weil für uns nicht erkennbar ist, wer die Personen sind, deren Leben wir gerettet haben: Viel­leicht war es unser eigenes, vielleicht das von Personen, die uns besonders nahestehen.

Es ist ja, glaube ich, auch etwas, was wir wissen: dass der Tod natürlich zum Leben gehört und dass es irgendwann einmal für uns alle an der Zeit ist. Wir haben natürlich auch gelernt, jeden Tag mit Katastrophenmeldungen zu leben, aber wirklich bewegt sind wir, wenn es jemanden betrifft, der uns nahesteht – und das muss nicht einmal ein Mensch sein, man ist manchmal sogar fertig, wenn es das eigene Haustier erwischt. Das, glaube ich, ist es, worauf wir Bezug nehmen müssen und was wir bedenken müs­sen: dass es in dieser Krise das Wichtigste ist, wie wir die Menschen sicher durch diese Krise führen können beziehungsweise wie wir möglichst viel Schaden abhalten können und wie wir möglichst viele Menschenleben retten können.

Was ist generell wichtig, wenn man dafür verantwortlich ist, sich zu bemühen, eine Krise zu bewältigen? Ich meine, es ist sehr wesentlich und zentral, dass man einen kühlen Kopf behält und dass man dann auch auf dieser Grundlage Entscheidungen trifft. Ich glaube, Sie kennen das alle: In Krisensituationen reagieren Menschen, die Verantwor­tung tragen oder die eine Lösung suchen müssen, unterschiedlich. Es gibt welche, die einen dicken Hals kriegen, schreien, hysterisch werden, Alkohol zu sich nehmen.

Es ist schwierig, in Stresssituationen das Richtige zu tun. Es ist auch meistens so, dass auf der linken Seite einer sagt, man soll A machen, und auf der rechten Seite sagt einer, man soll B machen. Es kann sein, dass die einen Menschen sagen: Wenn die Schulen zugesperrt werden, dann ist alles vorbei, weil das dann niemand mehr aushält; das ist das Schlimmste, das man machen kann! – Dann werden andere sagen: Wenn man die Schulen nicht zusperrt, ist das das Schlimmste, denn man trifft sich schon bei den Autobusstationen, dort steckt man sich an, und im Bus steckt man sich an, und ich weiß nicht, wie viele andere Infektionsherde es noch gibt; es ist das Schlimmste, die Schulen nicht zuzumachen, wenn man die Krise im Griff behalten möchte! – Dann gibt es welche, die sagen: Das Schlimmste, das man machen kann, ist, den Handel zuzusperren! – An­dere sagen: Wenn wir das nicht tun, dann werden wir diese Krise nicht managen können!

So, und wenn man dann in einer solchen Situation Entscheidungsträger ist und Entschei­dungen treffen muss, dann ist es vernünftigerweise so, dass man sich all diese Punkte anhört, dass man natürlich in Widersprüchen denken muss und dann aber trotzdem am Ende des Tages eine Entscheidung für eine Strategie fällen muss, von der man über­zeugt ist, dass sie ein Weg ist, wie man durch diese Krise schreiten kann.

Es gibt keine einfachen Lösungen, und es ist klar, dass, wenn solche Wege beschritten werden, auf der B-Seite mit einem Shutdown für diejenigen, die davon wirtschaftlich be­troffen sind, Nachteile einhergehen. Andere Ziele, wie solche im Bildungsbereich, kön­nen damit natürlich auch nicht gleichzeitig erfüllt werden, sondern stehen sogar im Ziel­konflikt damit. – Das sind wohl Dinge, die uns klar sind.

Eines muss ich schon auch sagen: Was mich bei dieser Debatte von der Dimension her schon ein Stück weit überrascht hat, ist: Die Kollegen von den Freiheitlichen haben sich, wenn ich sie richtig verstanden habe, besonders darüber mokiert, dass vermeintlich an­dere Standpunkte nicht akzeptiert werden. Das habe ich jetzt von Ihnen polternd gehört, eigentlich nicht erst bei dieser Dringlichen Anfrage, sondern bereits zuvor: Andere Mei­nungen gelten nicht! – Ich weiß nicht, ob es so ist. Eine andere Meinung gilt natürlich, die Frage ist immer: Was ist die Mehrheitsmeinung und wie wird im Endeffekt eine Ent­scheidung getroffen?

Ich habe eigentlich das Gefühl, dass sich zum Beispiel der Herr Bundeskanzler hier Ihre Meinung sehr gelassen angehört hat. (Bundesrat Steiner: Ja was hätte er denn tun sollen?! Soll er sich niederlegen?! Was soll er machen?! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie wirken viel aufgeregter, stehen mit leicht gerötetem Kopf hier und hauen auf den Tisch. Da frage ich mich schon: Was hat das jetzt damit zu tun, dass Sie sagen, man akzeptiere keine andere Meinung? Man hört sich eine andere Meinung an und denkt sich: Okay, die war überzeugend oder die war nicht überzeugend.

Bei Ihnen muss ich sagen: Sie sind für mich nicht sehr überzeugend. Warum? (Heiterkeit und Zwischenrufe bei FPÖ und SPÖ.) – Das ist ja sehr lustig, ha, ha, ha! Sie haben echt einen tollen Humor, den will ich noch näher kennenlernen. – Was ich aber sagen will, ist: Wenn Sie hier vermeintlich Kritik vorbringen wollen, weiß ich nicht, warum bei Ihren Wor­ten, die Sie da ständig über den Tisch schmeißen, von zehn Aussagen sieben ein Be­leidigen des Bundeskanzlers sein müssen und Sie eigentlich nur Zeit haben, drei Punkte zu Inhaltlichem zu sagen. Das ist schon ein bisschen überraschend. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie sprechen das Thema Bildung an. – Okay, jetzt muss man einmal sagen: Im Bildungs­wesen ist es natürlich eine Herausforderung, dass wir jetzt Homeschooling haben. Na­türlich passieren im Bildungssystem immer wieder Lücken, aber bei den Lücken, die Sie in Ihrer Bildung haben, können Sie sich nicht auf die Coronakrise ausreden. (Zwischen­rufe bei der FPÖ.) Das möchte ich schon einmal ganz deutlich sagen. (Beifall bei der ÖVP.)

Weil Sie hier sagen, die alten Menschen werden eingesperrt: Herr Kollege Steiner, soll­ten Sie Ihre Eltern eingesperrt haben, dann bitte ich Sie dringend: Sperren Sie wieder auf! Lassen Sie Ihre Eltern wieder hinaus! Die dürfen auch hinausgehen, frische Luft atmen und sich bewegen, und Sie dürfen auch hingehen und Ihre Eltern versorgen. Also sollten Sie da etwas falsch verstanden haben und ältere Menschen weggesperrt haben: Bitte machen Sie das dringend rückgängig! (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Ein weiterer Punkt, der mir in dieser vermeintlich differenzierten Debatte aufgefallen ist: Sie haben gesagt, Sie kennen niemanden mehr, der diese Gesichter noch sehen kann. Es ist ja auch von Ihnen (in Richtung Bundesrat Steiner) ein besonders höfliches Zei­chen, dass Sie mir jetzt den Rücken zuwenden. (Bundesrat Steiner – sich in Richtung des Redners wendend –: Entschuldigung!) Sie haben wirklich die Hochkultur des Parla­mentarismus schon richtig im Blut. Sie kennen niemanden mehr, der die Gesichter der Regierungsmitglieder noch sehen kann, haben Sie gesagt. Na ja, da muss ich sagen: Es ist natürlich Ihnen überlassen, welchen Umgang Sie pflegen und in welchen Kreisen Sie verkehren, aber daraus den Anspruch zu erheben, Sie würden die Menschen mehr vertreten als die Parlamentarier anderer Parteien oder als die Regierungsvertreter der Regierungsparteien, ist einfach ein überheblicher Anspruch. Sie sprechen von Überheb­lichkeit, aber Ihre Überheblichkeit ist, dass Sie hergehen (Zwischenruf bei der SPÖ) und meinen, Sie sind die Einzigen, die die Menschen, wie Sie sie berechtigt bezeichnen, vertreten. Ja, es gibt sicher Menschen, die Sie vertreten, aber es gibt eben auch viele Menschen, die anders denken als Sie (Zwischenruf bei der SPÖ), die von anderen Man­dataren und von anderen politischen Vertretern hier besser als durch Sie vertreten wer­den. (Beifall bei der ÖVP.)

Das heißt: Der allerwesentlichste Punkt, um den es eigentlich geht – weil das ja insbe­sondere von den Rednern der Freiheitlichen so stark gebracht worden ist, es ist immer wieder gesagt worden –, sind die Ziele, die Ziele des Messias Kurz. Also bei uns ist er kein Messias, aber bei Ihnen. – Okay, passt. (Bundesrat Schennach: Heiland ....!) – Heiland, auch das ist super – passt! Ich finde es ja eh super, dass ihr da solch einen Respekt habt. Wir sind da ein bisschen bodenständiger, ist aber in Ordnung.

Was sind die Ziele von Bundeskanzler Kurz? – Ich darf Ihnen hier noch einmal den we­sentlichsten Punkt nennen: die Menschenleben zu retten. Das ist der wesentlichste Punkt. Sie meinen, dass eine Regierung Spaß daran hat, ein Lebensmittelgeschäft oder irgendeine Bekleidungsfirma zuzusperren (Zwischenruf des Bundesrates Steiner) – das sei das Ziel von Herrn Kurz. Dann steht er vor der Tür und freut sich, dass zugesperrt ist, und sagt: Jetzt habe ich gewonnen! – Das sind Bilder, die Ihnen niemand glaubt. Versuchen Sie also nicht, die Ziele, die diese Regierung, der Kanzler, die Minister dieser Regierung verfolgen, in ein falsches Licht zu rücken!

Es ist legitim, dass Sie den Weg, wie das umgesetzt wird, kritisieren. Das ist in Ordnung. Wenn Sie sagen: Da gibt es eine Ausschreibung, und das hätte günstiger sein sollen!, ist das absolut in Ordnung, aber herzugehen und in den Raum zu stellen, dass es ir­gendein anderes Ziel gibt, als Menschenleben zu retten und nach bestem Wissen und Gewissen zu schauen, wie wir gemeinsam durch diese Krise kommen, ist einfach nicht in Ordnung und bringt uns, offen gesagt, auch nicht weiter.

Was ich damit sagen will, ist: Die Debatte sollte immer sachlich in einer harten Form geführt werden. Das ist völlig normal, und das muss man aushalten – das muss ein Kanzler aushalten, das muss ein Minister aushalten. Vertreter einer Regierungspartei müssen es aushalten, kritisiert zu werden, aber auch die Opposition muss aushalten, dass man eine andere Meinung als sie hat. Wir treten dann ja auch vor den Wähler und vertreten unsere Meinung. Daher bitte ich auch die Freiheitlichen um Respekt vor ande­ren Meinungen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Schennach: Kurz zusammenfassen, ich weiß nämlich nimmer, wohin du willst! – Bundesrat Steiner: So, jetzt kennt sich kei­ner mehr aus, das hast du gut gemacht! – Heiterkeit und weitere Zwischenrufe bei SPÖ und FPÖ.)

Eine Kurzfassung, wohin? – Also die Kurzfassung ist: Die Bundesregierung hat eine Strategie, wie wir durch diese Krise kommen. Diese Strategie ist nicht immer angenehm, es war nicht das Ziel, dass es einen weiteren Lockdown gibt. Es hat aber nie geheißen, dass es nie einen weiteren Lockdown wird geben müssen. Man agiert auf Grundlage der Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen, und bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen, gemeinsam mit den Österreicherinnen und Österreichern möglichst viele Menschenleben zu retten, gleichzeitig die Wirtschaft am Leben zu erhalten und damit alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir, sobald wir durch diese Krise sind, auch wieder die entsprechende Grundlage dafür haben, zu einem neuen Wachstum an­zusetzen. Um diese Dinge zu erreichen, dürfen wir uns wechselseitig und auch hart kriti­sieren, wir müssen aber auch ein Stück weit für dieses Land zusammenhalten. (Beifall bei der ÖVP. – Oh-Rufe bei der SPÖ.)

17.19

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Ingo Appé. – Bitte, Herr Bundesrat.