9.21

Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Dem letzten Satz des Kollegen kann ich vollinhaltlich zustimmen: Ja, wir müssen schauen, dass sich dieses Europa und auch Österreich in die richtige Richtung bewegen. Das tun ja beide nicht.

Die Frau Ministerin wird zu dem, was der Kollege über den Zustand der österreichischen Bundesregierung schon ausgeführt hat, und zum Gewicht der Vorwürfe, die da in der Luft liegen, vielleicht kurz Stellung nehmen. Ich weiß nicht, wer sich heute in der Früh schon die Gelegenheit verschafft hat, die Sicherstellungsanordnung der Staatsanwalt­schaft ein bisschen durchzulesen – das ist wirklich ein Konvolut an Dingen –, die ja rich­terlich genehmigt wurde. Da stimme ich dem Kollegen zu: Ich glaube, in keinem anderen europäischen Land wäre die Regierung heute früh noch im Amt, zumindest nicht der Bundeskanzler. (Beifall bei FPÖ und SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Wenngleich es weder das heutige Thema ist, noch wir hier ein Gericht sind: Ein politi­sches Gremium sind wir jedenfalls, und da kann ich die Bundesregierung, vor allem den Kanzler, nur auffordern, noch im Laufe des heutigen Tages seinen Rücktritt zu erklären und für eine Aufarbeitung dieses Augiasstalls, der offenbar in Österreich eingerichtet wurde, Platz zu machen. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt aber trotz all dieser unerfreulichen Dinge zu den meiner Ansicht nach auch nicht allzu erfreulichen Entwicklungen in der Europäischen Union, zu den europäischen Wer­ten und – wie Kollege Schennach gesagt hat – zur Notwendigkeit, dass Österreich von Europa lernt: Ich habe da ein bisschen mitgedacht und habe mich gefragt, was wir von Europa eigentlich lernen können.

Was wir von Europa lernen könnten: überbordende Bürokratie und Regelung von Dingen des persönlichen und öffentlichen Lebens bis in die kleinste Fußnote hinein. Wir sind in Österreich bürokratisch zwar gut aufgestellt, aber mit der EU können wir diesbezüglich nicht mit. Wenn wir also eine weitere Bürokratisierung unseres öffentlichen Lebens, eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheiten, der Freiheiten des Individuums, der Presse-, der Meinungsfreiheit und dergleichen sowie eine Regelung jedes einzelnen Le­bensbereichs wollen, dann müssen wir von Europa lernen und dann müssen wir vor allem diese Europäische Union vertiefen und verstärken, wie das so schön heißt – wenn wir das nicht wollen, allerdings nicht. Dann werden wir wohl auf alte Grundsätze zurück­greifen müssen, die wir hier zumindest verbal verteidigen und die auch verbal in diesen sogenannten Werten der EU drinnen stehen. Das sind nämlich die Grundsätze der de­mokratischen Selbstbestimmung jedes Volkes und jeder staatlichen Einheit.

In erster Linie entscheidet das Volk – und das Volk ist nicht die EU, das ist nicht der Rat der Europäischen Union und das ist auch nicht das Europäische Parlament, das ist al­lenfalls eine Delegiertenkonferenz der einzelnen Völker. Die entscheidenden Fragen, wie das Zusammenleben gestaltet wird, müssen aber in den Nationalstaaten, in den Völ­kern, die diese Nationalstaaten bilden, fallen. Das ist ein Prinzip, das derzeit mit Füßen getreten wird. (Beifall bei der FPÖ.)

Es wird zwar von Kollegen Köck beispielsweise, aber auch sehr gerne von der ÖVP – ich bin überzeugt, in der Folge auch von der Frau Europaministerin – immer erwähnt, wofür man Europa und die Europäische Union braucht. Ja, da gibt es schon Dinge, bei denen wir eine Zusammenarbeit in Europa brauchen. Wir brauchen eine starke Stimme auf internationaler Bühne, wir brauchen eine Kooperation in wirtschaftlich zentralen Din­gen, aber genau diese Kooperation gibt es nicht. Stattdessen gibt es eine immer detail­liertere und immer strangulierendere Regelung unseres Lebensbereichs.

Es waren ja einige Kollegen gestern mit mir zusammen im sogenannten Europaaus­schuss, da haben wir die vier Vorlagen der Kommission zur weiteren Einschränkung der bestehenden Freiräume gesehen – teilweise völlig absurde Regelungen. Natürlich, wir arbeiten als nationales Parlament, als Bundesrat da mit, aber wir arbeiten in der Weise mit, dass wir uns anhören, was die wollen, und nichts tun können. Ich kann jetzt darüber reden und kann darüber schimpfen, das ist aber auch nicht sehr viel, das ist vor allem keine besonders demokratische Partizipation des österreichischen Volkes.

Wenn ich mir zum Beispiel – ich habe mir ein paar Dinge, die besonders sind, notiert – die grüne Anleihe anschaue: Ich möchte wissen, wo argumentativ die Notwendigkeit einer europäischen Regelung dafür, wie eine sogenannte grüne Anleihe aussieht, ge­geben ist. Eine grüne Anleihe ist eine Anleihe, die nachhaltige, ökologische Projekte in Europa fördert, als – sagen wir einmal – Begleiterscheinung des sogenannten Green Deals.

Das klingt ja alles ganz schön, aber: Was ist auch ein grünes Projekt, ein nachhaltiges Projekt, ein sauberes Projekt in Europa? – Die Atomenergie. Das heißt, wenn wir diese Verordnung – das ist eine Verordnung, nicht nur eine Richtlinie der Europäischen Union, also ein Akt, der unmittelbare Gesetzeswirkung in Österreich entfaltet – übernehmen, dann haben wir einen Katalog, der uns vorgibt, welche Anleihe wir als nachhaltig, grün, als goldgeplatet von der EU ansehen müssen.

Wenn jetzt in Österreich jemand eine Atomenergieanleihe begibt, die ganz oder teilweise der Förderung von atomaren Einrichtungen außerhalb Österreichs dient – bei uns ja nicht, aber in Deutschland, in Frankreich, wo immer das noch möglich ist, schon; Deutschland: schwierig, Frankreich: sehr leicht, Belgien: möglich –, wenn wir so etwas hier haben, dann wird das eine EU-zertifizierte grüne, nachhaltige Anleihe, und wir können uns nicht dagegen wehren, dass bei unseren Bankschaltern, bei unseren Vermögensverwaltern solche EU-zertifizierte grüne Anleihen, die nichts anderem als der Förderung der Atomenergie dienen, aufgelegt werden. (Bundesrat Schennach: Sie wis­sen, dass das ...!)

Ich weiß es, Sie wissen es auch, weil Sie dabei waren. Wir haben die Vertreter des Ministeriums gefragt, bestreiten konnten sie es nicht, aber sie haben gesagt: Na ja, aber so eine Anleihe wird sich ja nicht verkaufen, weil die Anleihekäufer und Emittenten ja schauen werden, was wirklich drinnen ist! – Ja, aber da frage ich mich, wozu wir dann diese Verordnung brauchen. Wenn eh die Anleihekäufer und Emittenten schauen, was wirklich drinnen ist, dann brauchen wir die ganze Verordnung nicht. Entweder die Ver­ordnung ist sinnlos, weil eh keiner hineinschaut, oder die Verordnung macht Sinn, dann lassen sich diejenigen, die das kaufen, von solchen Gold Plates oder grünen Dingen beeinflussen beziehungsweise zu einer Entscheidung bringen.

Das ist aber nur ein kleiner Teil. Wir können auch zur Verbraucherkreditrichtlinie gehen: Da geht es um eine Materie, die in Österreich bereits bis zum Abwinken bürokratisiert und geregelt ist, und zwar in einer Weise, dass es für Nichtunternehmer oft geradezu unmöglich ist, Kredite zu erlangen; das sind diese ganzen Baselabkommen im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die in den letzten 15 Jahren die Kredit­vergabe so erschwert und so bürokratisiert haben. Jetzt kommt eine Verbraucherkredit­richtlinie, die sozusagen noch den Hut auf diese ganze Bürokratie setzt: Jetzt ist sogar das Gewähren einer Stundung durch einen Gläubiger bereits ein Kreditakt, der dieser Richtlinie unterliegt und verbürokratisiert wird, sogar Verbraucherkredite unter 200 Euro müssen nach diesen bürokratischen Vorschriften, deren Einhaltung allein wahrscheinlich ein Vielfaches von 200 Euro ausmacht, abgehandelt werden. (Zwischenrufe der Bundes­rätinnen Eder-Gitschthaler und Zwazl.) – Ja, Kollegin, so ist es.

Das sind Dinge, die nicht nur angesprochen gehören, sondern auch – um das schöne Wort zu verwenden – diskutiert gehören. Wenn man ein Forum zur Zukunft Europas macht, sollte es nicht so sein, wie es jetzt geplant ist, dass die Themen, die vorgegeben sind – der Wert Europas für die Bürger, immer tiefere Integration zu einem Europa der Werte, Integration Europas, der transparente Markt und unsere Zukunft, unser Leben in Europa und so weiter; da haben Sie diese Überschriften –, nur in eine Richtung gehen. Zugelassen werden Diskussionen ausschließlich in diese Richtung: Wir brauchen mehr Europa, mehr Integration, weniger Nationalstaat, keine Vetorechte, keine Mitbestim­mungsrechte, sondern die Delegationen, die Europäische Union, die alles macht.

Das ist ein Forum und das ist ein Projekt, das kein Mensch braucht, das wirklich kein Mensch braucht (Beifall bei der FPÖ – Zwischenruf bei der ÖVP), außer diejenigen, die damit ein Geschäft machen, und Geschäfte gibt es da allemal. Diese ganzen Aktionen kosten ja nicht Millionen, sondern Dutzende Millionen. Das, was herauskommt, ist natür­lich demokratiepolitisch null. Es wird diskutiert, es wird vielleicht ein Protokoll gemacht, das in einer Lade verstaubt – und das ist es.

Das ist so wie unsere parlamentarische Mitbestimmung, nämlich die Subsidiaritätsrüge. Wir wissen eh, selbst wenn 21, 22, 23, 24 Staaten eine Subsidiaritätsrüge machen – das ist in unseren Parlamenten ein Riesenaufwand, das zu machen, und dazu haben wir gewaltige Kontrollmechanismen, Reportingmechanismen, die uns immer sagen, was da los ist –, passiert auf europäischer Ebene gar nichts, denn nur dann, wenn alle euro­päischen Staaten eine Subsidiaritätsrüge erheben, muss sich die Kommission überhaupt noch einmal befassen. Das heißt aber nicht, dass die Sache gestorben ist, sondern dann muss sich die Kommission noch einmal damit befassen. Nicht einmal alle Staaten ge­meinsam haben also ein Vetorecht – es genügt die Stimme Maltas, das keine Subsi­diaritätsrüge macht, weil man dort vielleicht nicht dazukommt oder weil das Parlament damit überlastet ist.

Das ist eine Mitbestimmung, das ist ein Europa der Zukunft, das niemand will. Das ist ein Europa der Scheindemokratien, das ist ein Europa der Scheinwerte – um Kollegen Schennach noch einmal zu zitieren, der von den europäischen Werten gesprochen hat. Das ist ja der Inbegriff der Scheinwerte überhaupt. Die willkürliche Auslegung von dem, was rechtsstaatlich ist, was demokratisch ist, das zeichnet die EU überhaupt aus.

Der Kollege erwähnt ja immer wieder die schönen Beispiele Ungarn und Polen: Dort ist die Demokratie gefährdet, dort darf das Parlament nicht entscheiden, was es will, dort muss die Europäische Union entscheiden, Wirtschaftssanktionen verhängen. – Wenn in einem Land wie Spanien, das sich politisch korrekt verhält, der Präsident einer Regio­nalregierung flüchten muss, weil er verfolgt wird, und zwar aus dem einfachen und ein­zigen Grund, weil er eine Volksabstimmung über die mögliche Unabhängigkeit Katalo­niens anberaumen will, dann hören Sie von der Kommission kein Wort. (Beifall bei der FPÖ.)

Präsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesrat Hübner, ich bitte, die Redezeitbeschrän­kung von 10 Minuten einzuhalten. Ich bitte um den Schlusssatz.

Bundesrat Dr. Johannes Hübner (fortsetzend): Er kriegt mit Mühe eine Aufenthaltsbe­rechtigung in Belgien und muss also bis zu 30 Jahre Gefängnis erwarten. Ich glaube, er wird nun begnadigt werden.

Da hören Sie nichts, und das ist genau diese Europäische Union nicht der zwei Ge­schwindigkeiten, sondern der zwei Werte und der Scheinheiligkeiten, die wir nicht wol­len. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

9.32

Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster ist Bundesrat Marco Schreuder zu Wort gemel­det. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.