17.26

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Herren Minister und Frau Staatssekretärin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ja, niemand hätte sich gedacht, dass wir heute etwas beschließen und mittragen, das nicht wir verbockt haben, sondern das eine Regierung verbockt hat. (Bundesrat Leinfellner: Ist das jetzt eine Entschuldigung?)

Wenn wir in die Geschichte der Pflichtimpfungen zurückschauen, stellen wir fest – das ist interessant –, dass es immer riesige Wellen und Missverständnisse bis zu Erhebun­gen gab. Einen der berühmtesten Irrtümer gab es 1809 bei der zweiten Bergiselschlacht. Warum kam es zur zweiten Bergiselschlacht, Herr Präsident aus Tirol? – Weil die Fran­zosen gemeinsam mit den Bayern erkannt haben, dass die schwarzen Pocken die Tiroler Bevölkerung dermaßen geschwächt hatten, dass man sie impfen lassen musste. Die Franzosen haben ein Impfprogramm zur Hebung der Gesundheit und zum Kampf gegen die Pocken eingeläutet. Daraus wurde die Mär: Die wollen uns die Ideale der Französi­schen Revolution einimpfen.

Wir wissen mittlerweile – ich schaue gerade eine Oberösterreicherin an –, warum dieses Denken so stark in Oberösterreich verhaftet ist: weil das Impfen ein Thema bei den pro­testantischen Bauernaufständen und Bauernkriegen in Oberösterreich war und weil sich das bis heute in diese Geschichte hineinzieht. Bitte, wir haben die Aufklärung hinter uns, wir haben Geschichten hinter uns!

Ich stehe heute hier – und das sage ich jetzt an jene gerichtet, die zusehen –, weil in ungefähr 1 000 dieser Briefe stand, wir würden eine Empfehlung des Europarates miss­achten. Liebe Briefschreiber und Briefschreiberinnen, diese Empfehlung des Europara­tes stammt von mir. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) Ich habe im Herbst 2020, als die Wissenschaft noch nicht so klar war und es noch nicht so sicher war, dass wir einen wunderbaren Impfstoff bekommen, gesagt: Vorsicht, wir versuchen es mit der Freiwilligkeit! Damals im Jänner 2021 ist dem die Mehrheit gefolgt.

Mittlerweile haben wir aber gesehen, wie das missbraucht wurde, und der Europarat hat letzte Woche beschlossen, eine Dringlichkeitsdebatte durchzuführen, und hat mich be­auftragt, einen neuen Kodex zu Covid vorzulegen. Dieser „Beating Covid-19 with public health measures“ – so lautet der Name – musste teilweise mit Zweidrittelmehrheiten von 47 Mitgliedstaaten abgestimmt werden, weil – anders als 2021 – nun dieses neue Werk, das ich im Europarat verfasst habe, Handlungsanleitungen an den Ministerrat inkludiert, und dafür braucht man Zweidrittelmehrheiten.

Nun, nach zwei Jahren der Pandemie, haben wir gelernt, was funktioniert. Wir wissen besser, was funktioniert und was nicht. Es ist erstaunlich, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Rekordzeit einen modernen, neuen Impfstoff, der auch noch effektiv ist, entwickelt haben, der vor Krankheit und vor allem vor Tod schützt. Nur haben wir eine etwas perverse Situation: Während man in den reichen Industrieländern die Men­schen mit Geldgeschenken und weiß ich was alles überzeugen muss, diese Impfung zu nehmen, gibt es in sehr armen Ländern eine katastrophale Situation.

Wenn wir 100 Menschen in Afrika nehmen, haben davon nur sieben Menschen die Chance auf einen Impfstoff. Wenn wir 100 Menschen aus Europa nehmen, haben davon über 60 Menschen die Chance auf einen kostenlosen Impfstoff. (Zwischenruf des Bun­desrates Spanring.) Deshalb hat der Europarat, der auch einen ganz wichtigen Preis – das ist der Nord-Süd-Preis – verleiht, das Covax-Programm der WHO – das Hilfspro­gramm, das die Impfstoffe betrifft – mit diesem Preis ausgezeichnet und appelliert an alle reicheren Länder, da mitzumachen und diesen Weg zu unterstützen, denn solange wir diese Pandemie nicht weltweit bekämpft haben, wird das Virus immer und immer weiter mutieren, und man kann nicht sagen: Was in Afrika ist, interessiert uns nicht; was in Südamerika ist, interessiert uns nicht!

Das heißt, wir haben jetzt einige Schritte zu machen: Zum Ersten müssen wir zeitlimitiert die Patentrechte aussetzen. Warum müssen wir das tun? – Weil diese Impfstoffe mit unheimlich viel öffentlichen Mitteln entwickelt wurden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.) Da haben Staaten Millionen von Euro und Dollar zur Verfü­gung gestellt, damit diese Impfstoffe entwickelt werden können, und nun besteht eine verdammte Pflicht, dass wir diese Patente zeitweise aussetzen, damit zum Beispiel In­dien, das die Kapazität hat, diese Medikamente herzustellen, diese auch produzieren kann. (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)

Das ist eine Botschaft der WHO, die wir weitertragen sollen, wobei Österreich im Konzert mit den anderen europäischen Ländern – und ich hoffe, dass das auch in Deutschland langsam zur Kenntnis genommen wird – klarmacht: Das geht nicht! Wir können nicht alles hier in den Norden aufkaufen. Ich erinnere daran: Wir hatten einmal einen Kanzler, der hat die Regierungschefs des Westbalkans nach Wien eingeladen und hat denen gesagt: Wenn ihr verhindert, dass Flüchtlinge bis nach Österreich kommen, dann schen­ken wir euch Impfdosen! – Das ist unanständig. Das ist im höchsten Maße unanständig, weil die Welt – 194 Länder, das ist die Mitgliederzahl der WHO – sich entschieden hat, ein System zu machen – nämlich das Covax-System –, das nicht politische Geschäfte macht, sondern das hilft. Die frühere deutsche Bundeskanzlerin hat selbstverständlich Geld und auch Millionen von Dosen an Covax weitergegeben.

Nun, liebe Damen und Herren, diese neue Resolution des Europarates ist jetzt 14 Tage alt. Sie sagt im § 9 – und der war von links und von rechts, politisch gesehen, heftig umkämpft –, dass jeder Staat, jedes Mitgliedsland des Europarates, zu dem seit 1955 auch Österreich zählt, das Recht hat, über eine Impfpflicht nachzudenken, und zwar steht eine berufliche Impfpflicht – in bestimmten Pflegeberufen, in medizinischen Beru­fen – oder eine die Bevölkerung generell betreffende Impfpflicht drinnen, dass es dafür notwendig ist, eine breite politische Debatte zu führen, und dass alles durch Parlamente geprüft und zeitlich limitiert sein muss.

Das heißt jetzt, dass immerhin das Haus der Menschenrechte, das Haus der Rechts­staatlichkeit, dass 47 Länder mit einer sehr, sehr großen Mehrheit entschieden haben, dass eine Pflichtimpfung sehr wohl möglich ist und sehr wohl unter bestimmten Parame­tern durchgeführt werden kann. Insofern, liebe Damen und Herren und liebe Briefschrei­ber: Es ist keine Missachtung einer Empfehlung des Europarates mehr, wenn wir heute und hier eine Pflichtimpfung vorsehen und beschließen, denn sie ist demokratisch be­schlossen.

Diese Resolution beinhaltet auch, dass enorm viele Mittel und Möglichkeiten, auch so­zialrechtlich, im Bereich von Long Covid eingesetzt werden müssen und dass die Medien mehr denn je aufgefordert werden, gerade in Krisenzeiten eine objektive und breite In­formation zu bieten. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

In diesem Sinne bringe ich heute auch einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Impfpflicht und Arbeitswelt“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Der Bundesrat ist der Auffassung, dass bestehende arbeits- oder sozialversicherungs­rechtliche Regelungen und Ansprüche durch das COVID-19-Impfpflichtgesetz unberührt bleiben.

Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird da­her ersucht, dass die aktuell (am 3. Februar 2022) in der 4. Covid-19-Maßnahmenver­ordnung geltende 3G-Regelung für Arbeitsorte bzw. 2,5G- Regelung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Alten- und Pflegeheime, stationären Wohneinrichtungen der Behin­dertenhilfe, Krankenanstalten und Kuranstalten und sonstigen Orten an denen Gesund­heitsdienstleistungen erbracht werden, beibehalten werden und die allenfalls dafür er­forderlichen Tests unentgeltlich bleiben.“

*****

Dieser Dreiparteienentschließungsantrag soll Sicherheit, Klarheit und eine Perspektive geben.

Vielleicht zum Schluss noch einmal: Albert Einstein, glaube ich, war es, der einmal ge­sagt hat: Irrsinn ist, dieselbe Handlung zu wiederholen und ein anderes Ergebnis zu erwarten. (Bundesrat Spanring: Impfen! – Bundesrätin Steiner-Wieser: Warum tut ihr es dann?) Genau deswegen ist es wichtig, dass wir nach zwei Jahren Pandemie nicht mehr dieselben Fehler machen, dass es nach zwei Jahren Pandemie, da alle Menschen Lockdowns leid sind, für Politiker und Politikerinnen nicht unbedingt das Ziel sein sollte, Beliebtheitswerte zu erlangen, sondern zu zeigen, dass sie während einer sowohl gesell­schaftlichen als auch wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise, ja, wahrscheinlich ei­ner gesamten Sinneskrise, im Sinne der Gesundheit arbeiten.

Wir werden deshalb heute dieser Impfpflicht zustimmen. Sie ist eine demokratische par­lamentarische Entscheidung, und wir wissen auch, wann diese heute beschlossene Pflicht wieder zu Ende ist, das beschließen wir heute nämlich mit. (Bundesrat Steiner: In zwei Jahren!) Somit fußen wir ganz genau auf der Resolution des Europarates. – Ich danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.40

Vizepräsident Günther Novak: Der von den Bundesräten Korinna Schumann, Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Impfpflicht und Arbeitswelt“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile ihr das Wort.