Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 14. Sitzung / Seite 94

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Wenn Sie nicht bereit sind, Integration bereits im Vorschulalter zu ermöglichen, so ist diese in der Praxis meist nie mehr möglich. Sie können das zum Beispiel mit jemandem vergleichen, der nicht behindert ist: Versuchen Sie einmal, einen Nichtbehinderten 30, 40 Jahre lang irgendwo einzusperren. Glauben Sie, daß dieser, wenn er herauskommt, noch fähig ist, seine Existenz selbständig zu bestreiten? – Niemals! Und wenn Sie behinderte Menschen heute 20, 30, 40 Jahre lang einsperren, indem Sie sie von der Gesellschaft wegsperren, dann können sie einfach nicht mehr die Lebensqualität oder das Ziel erreichen, wirklich als Teil der Gesellschaft leben zu können. Das geht ganz einfach nicht!

Daß das stimmt, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich war 20 Jahre lang eingesperrt! Und was das heißt, danach wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, kann ich Ihnen berichten. Meine Aussonderung – das muß ich auch dazusagen – ist allerdings mißlungen, weil ich es irgendwie geschafft habe, dem Aussonderungsnetz zu entkommen, daher bin ich heute hier. Aber viele meiner Freundinnen und Freunde haben das nicht geschafft. Ich habe 20 Jahre alt werden müssen, um einmal allein einkaufen fahren zu dürfen, weil es in dem geschützten Rahmen, in dem Behinderte und alte Menschen leben, keine Infrastruktur gibt. Dort wird das gegessen, was auf den Tisch kommt, und kein Mensch weiß, was die Dinge eigentlich kosten.

Wenn Sie glauben, daß Sie Menschen auf diese Weise mündig machen können, dann sind Sie ganz klar im Irrtum! Sie können niemanden mündig machen und zur Selbständigkeit hinführen, indem Sie ihn wegsperren! Das geht ganz einfach nicht!

Aber jetzt werden behinderte und alte Menschen wieder weggesperrt. Und für den Fall, daß sie trotzdem versuchen sollten, ein Stück Normalität für sich zu erreichen, hat man bereits jetzt im Vorfeld ganz gezielt Maßnahmen gesetzt, um dieses Stück Freiheit auf jeden Fall auch zu unterbinden, und zwar indem man das kleine Taschengeld, das sie bis jetzt hatten, um 50 Prozent reduziert hat. Das heißt, sie haben von ihrem Minimum an Gestaltungsmöglichkeit wieder 50 Prozent einbüßen müssen. Behinderte und alte Menschen können nicht mehr hinaus, weil sie einfach die finanzielle Grundlage dafür nicht haben, wirklich in die Gesellschaft zu gehen und in der Gesellschaft zu leben. Das ist die Realität!

Herr Minister! Ich bin schon erstaunt: Wir haben Ihnen vor fünf, sechs Wochen einen Brief geschrieben, in dem wir Sie genau auf diese Dinge aufmerksam gemacht und in dem wir bereits aufgezeigt haben, was die Folgen Ihres wirklich unmenschlichen Sparpaketes, welches besonders auf Kosten von behinderten und alten Menschen geht, sein werden. Wir haben aber bis heute keine Antwort darauf bekommen. Ich glaube, wir werden auch keine mehr bekommen. (Abg. Dr. Graf: Neues Ministerium! Er hat nicht gewußt, wo er sitzt!)

Wir haben auch keine Antwort von Bundeskanzler Vranitzky, von Vizekanzler Schüssel oder von Sozialminister Hums bekommen. Wir haben bis heute keine Antwort auf die Frage bekommen, wie es in Zukunft mit behinderten Menschen weitergehen soll. (Bundesminister Mag. Klima: Frau Kollegin! Herr Sozialminister Hums hat das ausführlich mit den Behindertenverbänden verhandelt! Ich habe nicht verhandelt.)

Herr Minister Klima! Auch das stimmt nicht – das muß ich Ihnen sagen! –, sondern Sie haben versucht, die Behindertenorganisationen – Sie meinen damit ganz konkret die ÖAR – über den Tisch zu ziehen (Abg. Dr. Graf: Sozialminister Hums hat Sie über den Tisch gezogen!), aber Sie haben mit ihnen nicht verhandelt. (Bundesminister Mag. Klima: Ich habe darüber mit gar niemandem verhandelt.)

Ich kenne auch das "Angebot" des Finanzministeriums an die ÖAR. Dieses "Angebot" des Finanzministeriums an die ÖAR hat nie und nimmer auch nur irgend jemand in Verhandlung gestellt, weil es einfach so unerträglich ist, daß es darüber nichts mehr zu verhandeln gibt.

Sie sind von Ihrer Verhandlungslinie nicht nur nicht abgegangen, sondern Sie haben bei den Verhandlungen sogar noch einen Deckel draufgesetzt! Zuerst hat es geheißen, auf Kosten der behinderten Menschen sollen 1,9 Milliarden Schilling eingespart werden – das war die erste Meldung. Tatsache ist jedoch, daß auf Kosten von behinderten Menschen in den nächsten zwei


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