Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 17. Sitzung / Seite 218

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Morgen. Aber ich meine, daß es nicht an mir und nicht an unserer Fraktion liegt, daß diese Tageszeit oder Morgenzeit erreicht wurde. Aber da Sie monieren – gerade Sie von der ÖVP –, daß das eine so wichtige Debatte ist und daß Sie leider um diese Morgenzeit geführt wird, gebe ich Ihnen recht: Das ist eine sehr wichtige Debatte. Man sollte eine solche Diskussion ernst nehmen und von vielen Facetten her betrachten.

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Bereitschaft, darüber zu diskutieren, auch auf die Herren der F, wenn Sie mich beim Heruntergehen zum Rednerpultes als erstes fragen, wo ich gedient habe. Offensichtlich dürfen hier nur Militaristen zu diesem Thema diskutieren (Abg. Scheibner: Was heißt "Militaristen"?) und keine Zivilisten. Wenn Sie an mich diese Frage richten, verstehe ich das zumindest so. Es stört mich nicht, denn ich denke mir, daß ich auch als Zivilistin durchaus genug Kompetenz habe, darüber zu diskutieren. (Abg. Mag. Trattner: Schauen Sie dazu, daß Sie zum Thema kommen, es ist schon spät!)

Ich habe gesagt, daß das eine wichtige Debatte ist, und es hat mich Ihre Reaktion auf das, was meine Kollegin Stoisits gesagt hat, bewogen, mich noch zu Wort zu melden. – Das war eine derart heftige Reaktion, die gezeigt hat, daß es offensichtlich in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – nicht möglich ist, über die Vergangenheit und die Rolle des Militärs im Zweiten Weltkrieg (Abg. Scheibner: Was hat das beim Landesverteidigungsbudget verloren?) , über die Beteiligung des Militärs an den Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges zu diskutieren und das auch mitzubeleuchten, wenn es um eine solche Debatte geht. (Abg. Scheibner: Was heißt denn das?)

Es gibt ein Buch, das heute im "Standard" präsentiert wurde, das schon vergangene Woche in der "Zeit" vorgestellt wurde; herausgekommen ist es in den Vereinigten Staaten. Was in diesem Buch steht, ist nichts Neues. Es hat ein Harvard-Professor geschrieben, und er ist nicht der erste und der einzige, der ein solches Buch geschrieben hat. Vor ihm haben schon verschiedene andere Wissenschafter ähnliches – nach den Studien historischer Archive – geschrieben. (Abg. Kiss: Und das plappern Sie nach!) Dieses Buch heißt "Hitlers willige Vollstrecker", der Autor ist Daniel Jonas Goldhagen. – Ich spreche das einmal deutsch aus, weil ich nicht weiß, was die richtige Prononcierung ist.

Im Prinzip wiederholt Goldhagen das, was ein Kollege vor ihm, nämlich Browning, einige Jahre vorher bereits dargestellt hat, nämlich daß es nicht darum geht – und das ist übrigens etwas, was heute auch niemand mehr unter den Historikern Deutschlands wirklich behauptet (Abg. Mag. Trattner: Sprechen Sie zum Budget?) –, daß diese Vernichtungsmaschinerie, dieses wahnsinnige Morden, dieses Massenhinrichten darauf zurückzuführen ist, daß es einen Wahnsinnigen namens Hitler gegeben hat, aber daß es eine kleine Gruppe von SSlern gegeben hat, die ihn dabei unterstützt haben, und daß wir heute wissen, daß das ganze System nur aus zwei Gründen funktioniert hat: Aus dem einen Grund, daß auch eine Vielzahl – und da gehen sicher die Zahlen auseinander – von Militärangehörigen, von Militärdienst leistenden Menschen dazugehört haben, von ganz "normalen" Menschen, ganz "normalen" Nachbarn, ganz "normalen" Familienvätern, und vermutlich auch deswegen, weil es kulturelle und historische Zusammenhänge gibt. (Abg. Scheibner: Was hat das mit dem Bundesheer zu tun? – Abg. Mag. Trattner: Zum Thema kommen!)

Das ist natürlich ein Argument, zu sagen: Ja, was hätte denn mein Vater tun sollen? Er wäre erschossen worden, hätte er diesen Befehl verweigert. Aber es gibt eine Vorgeschichte dazu, es gibt eine klare politische Vorgeschichte, die bis ins vorige Jahrhundert zurückgeht, zum deutschen Antisemitismus und die bis zum Jahre 1938 – zumindest in Österreich – reicht, die auch eine Antwort geben sollte auf diese Frage.

Ich halte das zu bedenken für wichtig, und ich denke mir, daß man sich darüber auch in Österreich und in einem österreichischen Parlament auf zivilisierte Art und Weise unterhalten können muß, wenn es um die Aufgabe, um die Rolle des österreichischen Bundesheeres geht. Ohne die Aufarbeitung der Geschichte der Vergangenheit, ohne das Bewußtwerden, was Militär ist und bedeutet, sollten wir uns im klaren darüber sein, daß eine ernsthafte Diskussion über die Zukunft des österreichischen Bundesheeres nicht zu führen ist.


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