Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 17. Sitzung / Seite 436

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Sosehr es zu begrüßen ist, daß die Kultur zu einem Faktor geworden ist – sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch –, sosehr es erfreulich ist, daß sich die Zahl der Kulturveranstaltungen, der Theateraufführungen, der Konzerte, der Theatergruppen vervielfacht hat, muß doch auch kritisch vermerkt werden, daß bei den Förderungen und den jährlichen Zuwendungen an Institutionen die Finanzierung der Reproduktion jene der Produktion bei weitem überwiegt. Es sollte aber auch der positive Aspekt, daß die Kulturbudgets rasch ansteigen, vermerkt werden, und die Tatsache, daß Österreich zum Niveau vergleichbarer europäischer Kulturnationen aufgeschlossen hat, zumindest was den öffentlichen Sektor anlangt. Denn im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern fehlt bei uns fast völlig der private Impuls, fehlt fast völlig privates Mäzenatentum – von Ausnahmen abgesehen –, das die öffentlichen Budgets ergänzen könnte.

Gestatten Sie mir, Frau Ministerin, einige Worte zur Kinder- und Jugendliteratur zu sagen. Weil die Möglichkeiten zur künstlerischen Produktion und Rezeption für Kinder gering sind und weil es fast keine Möglichkeiten zur Aneignung künstlerischer Fähigkeiten und von Wissen über Kunst außerhalb der Schule gibt, möchte ich ein Plädoyer für eine Reform der ästhetischen Erziehung in den Schulen halten. Damit meine ich nicht nur die Erhöhung der Stundenzahl für bildnerische Erziehung oder Werkerziehung, sondern grundlegende inhaltliche Veränderungen angesichts der Herausforderungen durch Videos, Videospiele und die übrigen Angebote der elektronischen Unterhaltungsindustrie. Mehr denn je müssen sich die Kulturpolitik und auch die Schule der Ästhetik der Videospiele und der neuen Kommunikation von elektronischen Medien zuwenden.

Erfreulich haben sich nach meinem Dafürhalten die Literatur und das Verlagswesen entwickelt. Es ist gelungen, die Personenförderung ganz beträchtlich zu erhöhen, weil sie zahlenmäßig einen wesentlich größeren Kreis von Personen erreicht und weil es eine große Vielfalt von Förderungsmaßnahmen gibt, wie zum Beispiel Dramatikerstipendien, Staatsstipendien, Nachwuchsstipendien, Projektstipendien, Arbeitsstipendien und so weiter. Das heißt, es wurde in den letzten Jahren eine gute Infrastruktur für Kunst und Kultur geschaffen. Kulturförderung präsentiert sich wirklich als ein ausdifferenziertes System von Förderungen und Preisen. Und ökonomisch wurde für die Existenz der österreichischen Künstler, insbesondere der Schriftsteller, Enormes erreicht.

Insgesamt hat sich also in der österreichischen Kulturpolitik vieles zum Positiven verändert, wenn es auch nur die Einstellung gegenüber österreichischen Künstlern sei. Ich denke da etwa an Thomas Bernhard oder an Hermann Nitsch, beide Kulturschaffende, die in der Vergangenheit einiges an Aufregung verursacht haben. Diese Aufregung ist zumindest jetzt einer gewissen Gleichgültigkeit gewichen, was man vielleicht als Fortschritt sehen mag.

Gestatten Sie mir abschließend noch ein paar Worte zur jetzt stattfindenden Debatte über das Stalingrad-Denkmal beziehungsweise über das Wolgograd-Denkmal. Einige von Ihnen werden fragen: Was hat das mit Kulturpolitik zu tun? Was hat diese Debatte mit Kultur zu tun? Was hat diese Debatte mit Kunst und Kultur zu tun? (Abg. Schwarzenberger: ... unserer Gefallenen hat schon etwas mit Kultur zu tun!) Ja, da haben Sie vollkommen recht, Herr Schwarzenberger! Aber ich möchte es noch ein bißchen differenzieren.

Die Debatte über den Ort halte ich für irrelevant. Wichtig ist, daß das Denkmal zu keiner Pilgerstätte wird. Damit meine ich nicht Ewiggestrige. Das Verklären der Vergangenheit wäre schon schlimm genug, denn Heldendenkmälern haftet oft ein Sinn an, der falsches Heldentum suggeriert, obwohl es nur noch um den Respekt vor den Toten gehen sollte. Und da gehe ich mit Ihnen konform: Respekt vor Toten, die einer verbrecherischen Ideologie geopfert wurden.

Das heißt, es geht in der Kulturarbeit und in der Kulturpolitik auch um den Kampf gegen das Vergessen. Es geht um Trauerarbeit. Theodor Adorno hat gesagt: Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen, ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Kultur wird barbarisch, wenn sie nach Auschwitz eine heile Welt suggeriert. Und die Kultur, vor allem das Theater, kann helfen, daß den Menschen unglückliches Bewußtsein erhalten bleibt. –


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