Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 20. Sitzung / Seite 125

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Die drei Anträge sind ordnungsgemäß unterstützt und stehen mit in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Posch. Redezeit: 10 Minuten.

17.46

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Minister! Österreich hatte Ende April 1996 eine saisonbereinigte Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent. Die Europäische Union hatte eine knapp dreimal so hohe, nämlich 11 Prozent. Das ist zweifelsohne ein großer Erfolg, ein sehr großer Erfolg, wenngleich uns die Zunahme der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr nicht kalt lassen sollte.

Ich möchte mich in meinen Ausführungen, nachdem heute sehr, sehr viel über Wirtschaft, Unternehmen, Wirtschaftskraft geredet wurde, mit dem Menschen beschäftigen, nämlich mit dem Menschen, der frei von Arbeit ist, frei im doppelten Sinne: nämlich dem Arbeitslosen. Ich glaube, daß sich eine solche Diskussion nicht für eine spekulative Diskussion eignet, daß der Stellenwert der Erwerbstätigkeit am besten an seinem Gegenteil gesehen werden kann, nämlich an dem, was Erwerbslosigkeit ist, nämlich schlicht Not, psychische und physische Not, Depression, soziale Isolation, selbstzerstörerische Schuldgefühle, die meistens damit einhergehen.

Das heißt, Erwerbstätigkeit ist eine zentrale Lebenserfahrung, ist nicht nur Einkommenssicherung, ist nicht nur Befriedigung der Konsumbedürfnisse, sondern Beruf und Arbeit sind wichtig für Lebenszufriedenheit, für Bestätigung als Quelle gesellschaftlicher Anerkennung und als Basis sozialer Kontakte.

Daher sind die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit immer zu hoch. Sie sind immer zu hoch. Sie heißen Selbstmord, sie heißen Alkohol- und Drogenmißbrauch, sie heißen Kriminalität und Gewalt. Untersuchungen belegen dies ganz eindeutig, daß mit einem Ansteigen der Arbeitslosigkeit auch das Ansteigen der Kriminalitätsrate einhergeht, wobei besonders betroffen Frauen, ältere Arbeitnehmer, Jugendliche und ethnische Minderheiten sind.

Wenn in den Industrieländern 35 Millionen Menschen ohne Arbeit sind, was einer Quote von 8,5 Prozent entspricht, und auch in einigen Gebieten Europas die Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent und mehr beträgt, so sind das 50 Prozent zuviel. Arbeitslosigkeit ist ein gesellschaftlich nicht wünschenswertes Phänomen und muß daher als solches entschieden bekämpft werden.

Der grenzenlose Kapital- und Produktionstransfer hat es mit sich gebracht, daß der Mensch – unabhängig von seiner sozialen Entwicklungsstufe und Kultur – mit jenen konkurrieren muß, die eine wesentlich günstigere Kostenstruktur anbieten: mit den Reformstaaten Südostasiens etwa. Ein Österreicher mit einer 100-Quadratmeter-Wohnung, mit zwei studierenden Kindern, mit Auto und allem, was zum westlichen Lebensstandard dazugehört, muß in Konkurrenz treten mit einem Koreaner, der auf 30 Quadratmetern lebt, mit dem Rad zur Arbeit fährt und dessen Kinder selbst ihr Studium zu finanzieren haben. Das heißt: Die Verstärkung der Forschung und auch die Konzentration auf Dienstleistungen werden den fortschreitenden Verlust von Arbeitsplätzen und die Abwanderung der Produktion in diese Schwellenländer nicht auffangen, wobei ich hinzufügen möchte, daß die ausschließlichen Nutznießer dieser Situation die Kapitaleigner sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Wofür ich deswegen plädieren würde, da zahlreiche dieser Probleme Strukturprobleme sind und heutige Arbeitnehmer auch mit früheren Facharbeitern nicht mehr vergleichbar sind und die Arbeit auch nicht mehr die hauptsächliche Produktivkraft ist, wenn Betriebe eben die menschliche Arbeit durch computerintegrierte Fertigungssysteme ersetzen, die besser und flexibler produzieren, und solcherart angelernte Arbeiter und Hilfsarbeiter aus dem Prozeß verdrängt werden: Wenn nur wenige Industriearbeiter mit den neuen Arbeitsbedingungen Schritt halten können, in selbständiger Teamarbeit zu arbeiten, Verantwortung zu tragen für ein komplexes System von Maschinen und Robotern und die übrigen Randarbeitnehmer, Zeitarbeitskräfte werden, jederzeit kündbar, und zwar nach den Bedürfnissen der Betriebe, wenn Arbeit also dazu


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