Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 47

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Das ist kein guter Zugang zu einer Gesetzgebung, die sehr viele Menschen betrifft, bei denen ich nicht ohne weiteres voraussetzen kann, daß sie ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften und jahrelange Praxis in der Anwendung von sozialen Systemen haben. Die Betroffenen sind dann gelegentlich wirklich hilflos und können das, was wir für sie beschlossen haben, nicht einmal für sich zur Anwendung bringen. Gleichzeitig – und das ist sicher nicht zu verschweigen – stellt solch ein Dschungel aber auch die Einladung zum Mißbrauch dar, denn je unübersichtlicher, desto größer sind die Windschatteneffekte. Und genau dadurch haben wir ein zweifaches Problem: Die wirklich Betroffenen gehen vielfach – nicht gerade leer – fast leer aus, und andere, für die es gar nicht gedacht war, können sich an drei, vier oder fünf verschiedenen Stellen bedienen. Das ist unangenehm, denn erstens kostet es Geld, zweitens diskreditiert es das System, und drittens verfehlt das System sein Ziel. (Beifall beim Liberalen Forum. – Präsident Dr. Brauneder übernimmt den Vorsitz.)

Überdeutlich wird das Ganze im Bereich der Novellen zum Strukturanpassungsgesetz, nämlich betreffend die Vorschriften rund um die dienstnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisse, die freien Dienstverträge und so weiter. Das Gesetz ist am 1. Juli in Kraft getreten, und heute werden wir Beschlüsse fassen – ich gehe davon aus, daß die Mehrheit der Regierungsparteien das beschließen wird, was sie sich ausgemacht hat, daher ist die Prognose, daß der Beschluß herauskommen wird, nicht kühn –, wodurch heute, am 10., novelliert wird. Es muß zwar noch durch den Bundesrat und noch veröffentlicht werden, aber 14 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes wird eine neue Fassung in Kraft treten. – Das sagt eigentlich alles darüber aus, wie diese Gesetze zustande gekommen sind.

Ich erinnere noch einmal an unsere seinerzeitige wirklich massive Kritik hinsichtlich der Vorgangsweise rund um das sogenannte Strukturanpassungsgesetz, das wir Liberale übrigens zu allen Zeiten nur als "Notprogramm" bezeichnet haben. Aber auch Notprogramme können sorgfältig gemacht werden und müssen nicht so mißlingen, daß man sie 14 Tage nach Inkrafttreten wieder novellieren muß.

Dahinter steckt aber ein grundsätzlicheres Problem – wir haben darüber auch im Ausschuß schon debattiert, und es ist das wirklich zunehmend beunruhigend –: Durch die Vorgangsweise bei diesen Gesetzen leisten wir gefährliche Beiträge dafür, daß sich die Rechtsbereiche Arbeitsrecht, Sozialrecht und Zivilrecht immer weiter voneinander entfernen, ja teilweise geradezu in Widerspruch zueinander geraten. Durch die Konstruktion der Sozialversicherungspflicht bei den dienstnehmerähnlichen Werkverträgen, bei den freien Dienstverträgen werden Elemente des Zivilrechtes als Arbeitsrecht behandelt und umgekehrt wird Sozialrecht an zivilrechtliche Tatbestände, die per se nicht sozialrechtstauglich sind, weil sie in einem anderen Rechtsfeld angesiedelt sind, gekoppelt.

Wir schaffen eine Fülle von Definitionsproblemen. Wir schaffen Rechtsunsicherheit über Rechtsunsicherheit. Gelegentlich bin nicht einmal ich in der Lage, festzustellen, ob ein bestimmtes Vertragsverhältnis ein Werkvertrag im eigentlichen Sinn ist, ein Werkvertrag dienstnehmerähnlich, aber nicht sozialversicherungspflichtig, ein Werkvertrag dienstnehmerähnlich, aber sozialversicherungspflichtig. Leichter ist vielleicht noch die Abgrenzung zum freien Dienstvertrag; aber auch da ist es nicht immer so eindeutig.

Was ist die Folge? – Es wird zu mechanischen Lösungen gegriffen, zu Lösungen, die bedeuten: nicht mehr als 3 600 S – eine Rechtsfigur der geringfügigen Beschäftigung bei den echten Dienstverhältnissen wird damit auf Werkverträge umgeklappt, indem man so tut, als würde es sich beim Werkvertrag tatsächlich um ein periodisiertes unselbständiges Arbeiten handeln, was vielfach aber nicht der Fall ist. Daher werden all die Probleme, die beim Kumulieren mehrerer Werkverträge in einer Zeitperiode entstehen, über Höchstbemessungsgrundlagen gelöst – eine Rechtsfigur, die dem Werkvertrag völlig fremd ist. Im übrigen ist das auch eine herzliche Einladung zur Gestaltungsfreiheit, die Werkverträge über andere Zeiträume zu verteilen; also eigentlich eine Einladung für den Betroffenen, das Recht zu beugen, und das ist sehr schlecht.

Wenn diese Rechtsgebiete weiter so auseinanderlaufen, wird es kaum noch möglich sein, für wirkliche Rechtssicherheit im Verhältnis der verschiedenen Vertragsnehmer zueinander zu


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