Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 141

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Er hält sich also wieder nicht an den Befehl seines Generalsekretärs, der sagt, es gibt keine Neutralitätsdiskussion und wir führen auch keine.

Zum Drüberstreuen zitiere ich – das ist wirklich das Beste –, was der ehemalige ÖVP-Präsidentschaftskandidat, jetzt unser aller Bundespräsident Klestil, vor zwei Tagen im "Standard" meinte: "Europäische Union, Westeuropäische Union und NATO werden verschmelzen." – Er scheint offensichtlich fast eine naturgesetzliche Entwicklung darin zu sehen und hält sich auch nicht an das Verbot, darüber nachzudenken, ob das mit der Neutralität vereinbar ist.

In der Sozialdemokratischen Partei weiß der Europakandidat offensichtlich nicht, was seine Partei denkt, denn er sagt deutlich in der "Presse" am 13. Juni: "Swoboda ist für Beistandspflicht in der Europäischen Union." – Bei der sind wir, wenn ich mich recht erinnere. Wie soll Beistandspflicht mit Neutralität zusammenzubringen sein? – Das bringt dann nur jemand zustande, der auch noch den NATO-Beitritt mit der immerwährenden Neutralität unter einen Hut bringen kann. Also überall gibt es dieses merkwürdige Bild, daß man einerseits schon so vage sieht, daß es eine europäische sicherheitspolitische Entwicklung gibt, der man sich nicht so ohne weiteres entziehen kann, was aber andererseits mit der Neutralität nichts zu tun haben darf.

In der SPÖ gibt es eine neue Facette, die mich natürlich auch fasziniert hat. Das kommt in einer Aussendung des Bundeskanzlers vom 29. Juni zum Ausdruck, in der steht: "Klar bekannte sich Vranitzky zur Beibehaltung der Neutralität, solange es kein anderes System gibt, das uns größere Sicherheit bringt." – Das ist immerhin etwas, was ganz gut ist. Aber interessant ist, daß der Herr Bundeskanzler einen neuen Begriff in die aktuelle Diskussion einführt, nämlich die Paktfreiheit. (Bundeskanzler Dr. Vranitzky: Das ist doch nicht neu!)

Herr Bundeskanzler! Ein paktfreier Staat – so steht es zumindest hier – habe Handlungsspielraum. Um diesen nützen zu können, müsse man ihn schützen – und das im Zusammenhang mit der Neutralität.

Nun meine ich, daß hier offensichtlich wieder eine neue Verwirrungsmethode kreiert wird, indem man sich nämlich von der immerwährenden Neutralität zur Paktfreiheit "hinüberhantelt". Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Die Paktfreiheit hat natürlich mit Neutralität überhaupt nichts zu tun (Bundeskanzler Dr. Vranitzky: Oja!) , sondern Paktfreiheit ist die selbstgewählte Positionierung, keinem Pakt anzugehören, während die Neutralität zwei Seiten hat, nämlich einerseits, daß man sich selbst ganz klar zum Heraushalten aus Konflikten verpflichtet, aber eben auch international Pflichten hat, nämlich sich aus zukünftigen Konflikten absolut herauszuhalten. Sie ist eben eine zweiseitige Angelegenheit, und das ist der elementare Unterschied zur Paktfreiheit.

Ich würde wirklich ersuchen, diesen Begriff in dem Zusammenhang wieder aus der Diskussion zu nehmen, weil er nur zu weiterer Verwirrung beiträgt. Ich habe manchmal den Eindruck, daß man sich über diesen Begriff der Paktfreiheit wieder ein bißchen wegbewegt von der starren Klammer der Neutralität und vielleicht doch irgendwo in die europäische Sicherheitspolitik hinüberkommt und die Neutralitätsmotivation der österreichischen Bevölkerung oder ihre Einstellung dazu sozusagen ein bißchen abdämpft. Herr Bundeskanzler! Es ist kein geeignetes Instrument, mit der Paktfreiheit über die Neutralität hinwegkommen, also das alles mit der Europäischen Union in Zusammenhang bringen zu wollen.

Meine Damen und Herren! So weit zunächst einmal zur aktuellen Diskussion, die verwirrend genug verläuft.

Aber die Grünen und auch die Sozialdemokraten übersehen natürlich eines, und das muß man ganz klar an die Spitze der Diskussion stellen: Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben wir die Möglichkeit der Neutralitätspolitik hinter uns gelassen, und wir haben uns auch vertraglich dazu verpflichtet. In unserem Beitrittsvertrag mit der Europäischen Union haben wir ganz klar gesagt, daß wir an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik teilhaben werden, und wir haben uns verpflichtet, uns der Weiterentwicklung zu einer Verteidigungsgemeinschaft nicht entgegenzustellen, sondern sie mitzutragen.


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