Herr Bundeskanzler! Nun haben Sie schon recht, wenn Sie fragen: Wann wird denn das sein? Wie wird das aussehen? – Aber ein ganz zentraler Punkt der Neutralität ist damit einfach die Donau hinuntergeschwommen, nämlich das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft darauf, daß sich Österreich in einer Konflikt- und Krisensituation neutral verhalten werde, im Sinne von Gleichbehandlung von Konfliktparteien, weil doch völlig klar ist, daß eines nicht geht – es wäre auch absurd –, nämlich daß Österreich als Mitgliedsland der Europäischen Union in einer Krisensituation nicht die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mittragen sollte, daß es nicht ein Interesse daran haben sollte, daß das Gewicht der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Österreichs innerhalb der EU zum Tragen kommt, sondern daß wir uns querlegen und die beiden Konfliktparteien völlig gleich behandeln – und das als Mitglied der Europäischen Union.
Das geht nicht, das ist völlig unglaubwürdig, und richtigerweise wird jeder Staat auf dieser Welt annehmen, daß sich Österreich in Krisen- und Konfliktsituationen zur Europäischen Union nicht nur loyal verhalten wird, sondern vor allem ein Interesse daran hat, daß sich diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch tatsächlich durchsetzt. Das ist der Sinn dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, daß sich die politische Kraft und die wirtschaftliche Stärke dieses Kontinents in eine Sicherheitspolitik umsetzen. Das ist der Sinn dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. (Beifall beim Liberalen Forum.)
Nochmals in diesem Zusammenhang: Mit dem Beitritt zur Europäischen Union haben wir jede Glaubwürdigkeit, daß wir uns in Zukunft neutral verhalten werden, selbst bewußt aufgegeben und uns vertraglich dazu verpflichtet, daß wir diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mitbeginnen, mitaufbauen und mittragen. Wir sollten das jetzt auch nicht nach dem Lebertranprinzip als etwas sehen, das wir bedauerlicherweise machen müssen, weil wir zu den süßen Drops auch saure Drops dazunehmen mußten. Nein, das Liberale Forum ist sich dessen bewußt, es gibt auf diesem Kontinent nur in einer solidarischen Sicherheitspolitik, in einer Leistungs- und Lastenverteilung eine gemeinsame sicherheitspolitische Perspektive. (Beifall bei Liberalen Forum.)
Das ist ein sicherheitspolitischer Fortschritt, und diesen sollten wir bejahen. Das sei jetzt im Hinblick auf die Anregung der Grünen für das Referendum gesagt: Mir ist völlig klar, daß leider aufgrund der Diskussionsverweigerung durch die Regierungsparteien und aufgrund der für mich völlig absurden rückschrittlichen Position der Grünen in den Sicherheitsfragen die Neutralität in ihrer sicherheitspolitischen Dimension in Österreich in der Bevölkerung weit überbewertet wird.
Aber unsere Aufgabe ist es, nicht nur den Realitäten ins Auge zu schauen, sondern für eine bessere, solidarische europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu sorgen, die natürlich nicht nur eine militärische ist. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, daß dieser Kontinent nach wie vor "überrüstet" ist. Abrüstung muß das Ziel sein. Wir müssen daher eine Sicherheitspolitik aufbauen, die Konflikte verhindert, und vorbeugend darauf achten, daß keine Konflikte ausbrechen. (Abg. Wabl: Dazu müssen wir beitreten, wenn wir abrüsten müssen!) Wir müssen darauf schauen, daß dieser europäische Kontinent in bezug auf gesellschaftspolitische, wirtschaftspolitische, grundrechtliche und demokratische Standards auf ein Niveau kommt, daß es keine Konflikte mehr geben kann. Das ist das Ziel.
Der Herr Bundeskanzler hat heute sehr oft mit diesem allumfassenden Sicherheitsbegriff argumentiert, er hat aber heute sein Argument selbst ad absurdum geführt, indem er gesagt hat, ökologische, soziale und wirtschaftliche Sicherheitsfragen könnte man militärisch nicht lösen. Damit hat er natürlich völlig recht. Aber dann soll er es auch lassen, alle diese Dinge unter einem Sicherheitsbegriff in einen Sack zu packen. Das sind unterschiedliche Dinge, für die wir unterschiedliche Instrumentarien haben, und daher habe ich manchmal den Eindruck, man redet über einen umfassenden Sicherheitsbegriff, unter dem von der Ökologie bis zur Verteidigungspolitik alles beieinander ist, damit man diese zugegebenermaßen sehr unangenehme militärische sicherheitspolitische Seite ein bißchen in andere Sicherheitspolitiken einpacken kann, aber realistisch ist es nicht.