Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 48. Sitzung / Seite 104

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Im Streben nach größtmöglichem Schutz der österreichischen Bevölkerung setzte sich die österreichische Bundesregierung zum Ziel, bei der Schaffung eines kernenergiefreien Mitteleuropa eine Schrittmacherfunktion einzunehmen.

Die österreichische Entscheidung, gegen die energetische Nutzung der Kernenergie einzutreten, wurde durch die Einsicht wesentlich mitbestimmt, daß die Kernenergie als Symbol für risikoreiche und potentiell extrem teure Technologien steht, die nicht mit den Prinzipien und Prioritäten einer nachhaltigen und aufrechterhaltbaren Entwicklung in Einklang zu bringen sind.

Es kann also niemand behaupten, daß irgend jemand im politischen Feld im unklaren darüber hätte sein können, was die offizielle österreichische politische Linie ist.

Meine Damen und Herren! Die Liberalen haben echte Sorge, daß durch ein solches Abstimmungsverhalten – ich möchte jetzt nicht den Begriff "Verrat" verwenden, weil er so furchtbar martialisch ist –, durch solche Inkonsequenz der Integrationsgedanke in Österreich noch stärker in Mißkredit geraten wird, als dies ohnehin in der letzten Zeit schon geschehen ist, und zwar deshalb, weil man sich einfach nicht daran hält, was man a) verspricht und b) festschreibt. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Wir haben aber auch die Sorge, daß die österreichische Position im außenpolitischen Raum im Auftreten gegen die Nutzung der Kernenergie durch ein solches Verhalten wesentlich geschwächt wird. Wir meinen, daß es in irgendeiner Weise eine stärkere Abstimmung zwischen den Koalitionsparteien geben muß. Wir hoffen nicht – wir fragen in der Dringlichen Anfrage danach –, daß es Ausdruck einer unterschiedlichen Haltung der Koalitionsparteien ist, die diese Bundesregierung bestimmt.

Meine Damen und Herren! Ein letzter Punkt: Wir meinen, daß der Vorsitz Österreichs im Ministerrat für eine Offensive gegen die Kernenergienutzung auf europäischem Feld genutzt werden sollte. Aber wenn man das will, dann muß man auch konsequent und nachhaltig über die Jahre hinweg solche Entscheidungen tragen. Sie dürfen nicht dann, wenn es darauf ankommt, knapp vor dem Ziel die Linie brechen und Hand in Hand mit der Atomlobby in Brüssel spazierengehen, während man in Österreich sagt: Wir sind der Anwalt österreichischer Interessen. – Das kann nicht gehen! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Wir haben aus diesem Grunde auch unsere Dringliche Anfrage an den Herrn Bundeskanzler gerichtet, weil wir meinen, es ist Chefsache, jetzt darüber Klarheit zu geben, wie denn die Bundesregierung zu dieser Frage steht und wie, besonders auf europäischem Feld und letztlich auch, wenn wir den Vorsitz auf europäischer Ebene haben werden, mit diesem Thema umgegangen wird. – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum.)

15.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Beantwortung dieser Dringlichen Anfrage hat sich der Herr Bundeskanzler zu Wort gemeldet. – Bitte.

15.17

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Eines möchte ich gleich zu Beginn meiner Beantwortung klarstellen: Was immer einzelne Politiker, die nicht der Bundesregierung angehören, im Inland oder im Ausland sagen: Die Politik der österreichischen Bundesregierung in Sachen Atomenergie ist unverändert und klar: Wir wollen keine Atomkraftwerke, weil die mit Betrieb und Abfallagerung verbundenen Risiken noch immer nicht gelöst sind und – davon gehe ich aus – auch nicht gelöst werden können.

Wir sind außerdem davon überzeugt, daß Atomenergie, wenn man den Grundsätzen der Kostenwahrheit folgt und daher Stillegungskosten und Lagerkosten der AKWs mit einbezieht, die Atomenergie keinesfalls wirtschaftlicher ist als andere Energieformen. Diesen Standpunkt vertreten wir bei unseren unmittelbaren Nachbarn, diesen Standpunkt vertreten wir als Regierung natürlich auch weiterhin auf der Ebene der Europäischen Union und verwandter Organisationen.


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