Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:
"Jährlich fallen 30 000 Menschen in Österreich unter die Armutsgrenze. Helfen Sie ihnen aufstehen?
1996 wurde von der UNO als "Year of Eradication of Poverty" bzw. als "Internationales Jahr der Armut" proklamiert. Österreich hat bis jetzt nach unseren Informationen keine Anstrengungen unternommen, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Obwohl in internationalen als auch in österreichischen Untersuchungen konstatiert wird, daß auch in Österreich die Schere zwischen arm und reich wieder weiter auseinanderklafft, findet sich das Thema Armut weder im Koalitionsübereinkommen der Regierungsparteien noch in der Regierungserklärung oder einer sonstigen offiziellen Dokumentation, Erklärung oder Aktion wieder.
Österreich hat sich 1995 in Kopenhagen als Mitunterzeichner der auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung formulierten Forderungen verpflichtet, unter anderem in den Bereichen Armutsforschung und Dialog mit der Zivilgesellschaft im Jahr 1996 Initiativen zu setzen. Auch davon ist bis jetzt nichts zu erkennen.
Im November 1995 fand die Erste österreichische Armutskonferenz statt.
Die Zweite österreichische Armutskonferenz findet im Jänner 1997 statt. Die Voraussetzungen für das Herangehen an das leider immer brisanter werdende Thema haben sich nicht geändert.
Genau so, wie es "eine Tendenz gibt, Armut zum Privatschicksal zu erklären" (Caritas-Präsident Franz Küberl), bleibt auch die Befassung mit dem Thema auf wissenschaftlicher und politischer Ebene in weiten Bereichen privaten Institutionen überlassen. Weite Teile der Politik und der Gesellschaft haben sich offensichtlich damit abgefunden, daß parallel zum stetig steigenden Wohlstand, ja Reichtum, die Zahl der Personen dramatisch zunimmt, die ohne staatliche oder private Unterstützung ihr Auskommen nicht fristen können.
In Zeiten, als Sozialstaat und Vollbeschäftigung für die meisten Sicherheit bedeutete, galt Armut als Ausnahme von der Regel oder individuelles Versagen. Davon kann spätestens heute, da Massen- und Dauerarbeitslosigkeit sich verfestigt haben, prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen und familiäre Lebensformen sich schnell ändern, nicht mehr gesprochen werden. Dennoch wird Armut weiterhin privatisiert, mit individuellem Versagen identifiziert: "Sozialmißbrauch" wird trotz Steuerhinterziehung im grob geschätzten Ausmaß von 35 Milliarden Schilling jährlich (im Vergleich dazu bewegen sich die Ausgaben des Familienlastenausgleichsfonds für Familienbeihilfen bei 34 Milliarden Schilling, die des Arbeitsmarktservice für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bei etwa 26 Milliarden Schilling) weitgehend Angehörigen des einkommensschwächsten Bevölkerungsteiles zugeschrieben. Arme werden als "Sozialschmarotzer" diskriminiert und sogar kriminalisiert, wenn Bettler- und Sandlerverbote - wie zuletzt, aber nicht nur in Graz - umgesetzt werden. Auch Betroffene haben oft dieses Bild von Armut als individueller, selbstverursachter Schuld verinnerlicht. Anders ist die hohe Rate derer nicht zu erklären, die, speziell auf dem Land lieber materiell benachteiligt bleiben, als Sozialhilfe bei den BeamtInnen der Gemeinde zu beantragen und ihre Bedürftigkeit eingestehen zu müssen. Die Privatisierung von Armut läßt sich bequem als politische Strategie nützen, weil sie die strukturellen Ursachen von Armut verdecken hilft. Solange Armut als individuelles Problem gehandhabt wird, sind keine tiefgreifenden Reformen oder sozialpolitischen Strategien gegen Armut vonnöten.
Auch auf parlamentarischer Ebene hat es bislang kaum eine Auseinandersetzung mit der Armut in Österreich gegeben. So konnten parlamentarische Aktivitäten in diesem Bereich bisher eigentlich nur im Rahmen von schriftlichen und mündlichen Anfragen - hauptsächlich der Oppositionsparteien - festgestellt werden.
Schon 1990 meinten Graham Room und Bernd Hennigsen in ihrem Buch "Neue Armut in der Europäischen Gemeinschaft": "Es scheint zu den Gesetzmäßigkeiten der Sozialpolitik zu gehören, daß Problembereiche eher auf der Ebene der Etikettierungen abgehandelt, als daß sie in die sachliche Auseinandersetzung geführt werden: Wer Armut diagnostiziert und beseitigt wissen will, der betreibt das Geschäft der parlamentarischen oder außerparlamentarischen