Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 99

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Selbstverständlich brauchen wir auch eine florierende Wirtschaft. Aber eine florierende Wirtschaft zu rein marktwirtschaftlichen Bedingungen ist absolut keine Garantie dafür, daß der Reichtum, daß die Erträge dieser Wirtschaft auch nur einigermaßen gerecht allen zugute kommen!

Was mir bei Ihren Ausführungen gefehlt hat, das waren Worte wie Umverteilung, Umverteilung von Arbeitszeit, von Arbeit, aber auch von Geld. Ich weiß schon, daß das nicht mehr sehr beliebte Worte sind. Aber wenn Sie eine noch so florierende Wirtschaft haben, ist das keine Garantie dafür, daß die Armut verschwindet! (Abg. Silhavy: Frau Kollegin! Verteilung hat sehr wohl mit Umverteilung etwas zu tun!) – Natürlich! Aber die Verteilungspolitik hat der Herr Bundeskanzler ganz bewußt nicht angesprochen, und das habe ich moniert!

Herr Bundeskanzler! Die Wirtschaftsbereiche, die Sie angesprochen haben, sind nicht die, die besonders arbeitsplatzintensiv sind. Das sind nicht die Bereiche, die ohne sonstige Begleitmaßnahmen, wie etwa die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Menschen, geeignet wären, für sich zu wirken.

Selbstverständlich brauchen wir auch eine wirksame Bildungspolitik. Aber auch sie ist für sich allein keine Garantie dafür, daß die vorhandenen Güter und Erträge gerechter verteilt werden.

Wenn wir schon heute pro offenem Arbeitsplatz 10, 15, 20 Bewerberinnen und Bewerber haben, dann ist das nicht ein individuelles Problem von Qualifizierung oder Nichtqualifizierung, sondern dann muß Arbeit anders verteilt werden, damit mehr Menschen Arbeit bekommen und damit die vorhandene Arbeit nicht auf eine immer kleinere Zahl von Beschäftigten – vielleicht sogar noch mit dem Privileg von Überstunden und Mehrfachbeschäftigungen – aufgeteilt wird.

Herr Bundeskanzler! Was dringend notwendig wäre, das ist erstens ein besseres Datenmaterial. Sie haben überwiegend aus einer einzigen Studie zitiert, nämlich der Studie mit dem Titel "Von Ausgrenzung bedroht" aus dem Jahr 1993. Erst auf massiven Druck und nach geraumer Zeit wurde diese Studie publiziert.

Herr Bundeskanzler! Der Umstand, ob jemand ein Telefon oder ein Fernsehgerät hat, liefert überhaupt keine Aussage darüber, wie arm jemand ist. Die Kriterien von Bedürfnisbefriedigung oder mangelnder Bedürfnisbefriedigung sind ganz andere! Vor allem erhebt sich die Frage: Wo sind die Studien seit 1993? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Warum forscht man nicht?

Exfinanzminister Lacina hat recht, wenn er sagt, es werden in diesem Land alle Arten von Obstbäumen gezählt. Aber die Zahl der armen Menschen und auch die Zahl der Superreichen interessiert nicht, und zwar deshalb, weil es politisch gar nicht gewollt ist. Da ist es ja viel einfacher zu sagen: Die Polizei soll irgendwie schauen, daß das Problem nicht mehr sichtbar ist. "Aus den Augen, aus dem Sinn!" – Das scheint das Motto zu sein. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Ich stelle daher zur Datensituation zwei Entschließungsanträge.

Der erste Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde betreffend: jährlicher Armuts- und Reichtumsbericht

Der Nationalrat wolle beschließen:

Ein jährlicher Armuts- und Reichtumsbericht wird dem Parlament zugeleitet.

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