Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 107

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kanzler dazustehen (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen) – ich bin schon beim Schluß –, sondern so getan haben, als ob Ihnen die zunehmende Armut der Bevölkerung wirklich ein Anliegen wäre, dann muß ich Sie wirklich ersuchen, hier nicht wieder statt einer Fragenbeantwortung einen Wunschkatalog zu präsentieren, einen Brief an das Christkind, und daß in Zukunft Ihre Politik mehr von logischen als von ideologischen Überlegungen gekennzeichnet ist.

Und vor allem eines, Herr Bundeskanzler ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: War das ernst gemeint, daß das schon der Schluß ist?

Abgeordnete Edith Haller (fortsetzend): Ja, das ist jetzt der Schluß. Das ist alles ein Satz.

Ich finde es wirklich sehr bedenklich, wenn ein Bundeskanzler die österreichischen Verfassungshüter mundtot zu machen versucht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.20

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. Er hat das Wort.

16.21

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Analyse des Bundeskanzlers war von angemessener Offenheit geprägt. Ich möchte das am Beginn meiner Ausführungen ausdrücklich festhalten. Das hätte allerdings eine wesentlich positivere Seite, wenn der Herr Bundeskanzler nicht schon seit vielen Jahren in der Verantwortung in seinem Amt stünde, denn der therapeutische Ansatz war die Schwäche seiner Ausführungen.

In der Analyse stimmen viele überein. Quer durch die Fraktionen ist man diesbezüglich – in Kenntnis der statistischen Daten – kaum in der Lage, etwas anderes zu tun, als den Befund ohne verdunkelnde Brille zur Kenntnis zu nehmen. Das ist, glaube ich, nicht so sehr das Problem. Das Problem ist aber – und da stimme ich zum Teil mit meinen Vorrednerinnen und Vorrednern überein –: Die Reformpolitik der Bundesregierung bleibt aus. Sie macht zwar Politik, die sie selbst als Reformpolitik bezeichnet, aber in Wirklichkeit bleiben die Reformen aus. Es bleibt letztlich bei den Absichtserklärungen, die auf relativ gemeinsame Erkenntnisse gestützt sind.

Der historische Ansatz ist erfreulich. Der Zukunftsansatz ist nicht hoffnungsvoll. Und das ist deswegen besonders bedauerlich, weil sich dadurch gleichzeitig ein Element in die Debatte einschleicht, das ich als das wechselseitige Zuweisen von Schuld und Verursachung kennzeichnen möchte. Und was mich aus liberaler Sicht dabei besonders schmerzt, ist, daß häufig in diesem Zusammenhang gerade uns Liberalen der Anspruch abgesprochen wird, echte Anliegen zu vertreten.

Daher möchte ich ganz unmißverständlich heute hier festhalten, daß es auch aus unserer Sicht, aus der Sicht des Liberalen Forums eine wesentliche Aufgabe der Politik ist, sich darum zu kümmern und Randbedingungen zu schaffen, welche armutsvermeidend – im eigentlichen Sinn des Wortes – sind, welche allerdings – und das ist ein wesentlicher Zusatz aus unserer Sicht – in erster Linie darauf abzielen, die Menschen in die Lage zu versetzen, daß sie sich selbst aus der Armut befreien können.

Aber das ist nicht so zynisch gemeint, wie manche uns das unterstellen, daß wir das quasi als eine Art Großversuch auffassen würden, bei dem wir tatenlos zusehen, ob es den Menschen gelingt, sich aus der Armut zu befreien, und wenn es ihnen nicht gelingt, dann sagen wir vielleicht: schade! Sondern wir sind gleichzeitig der Auffassung, daß die Gesellschaft Garantien dafür abzugeben hat, daß jemand in dieser existentiellen Situation nicht zugrunde geht, bevor er sich aus der Armut selbst befreit hat. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Und das bleibt zu allen Zeiten eine Gratwanderung! Ich möchte das hier ganz ausdrücklich sagen. Denn wer bestimmt das Maß bei einer solchen Philosophie? Wer definiert letztlich, was Realarmut ist, die existenzgefährdend ist, was Armut ist, die nicht zumutbar ist, aber noch gelebt werden kann? Sind es die Statistiken? Sind es die Zahlen, die wir heute schon gehört haben?


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