Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 60. Sitzung / Seite 43

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Bundeskanzler, Sie haben in einer kurzen Passage Ihrer Ausführungen auch Ihren Vorgänger eingeschätzt, gewürdigt, möchte ich sagen. Und in dem Punkt, in dem Sie gesagt haben, daß Bundeskanzler Dr. Vranitzky der erste österreichische Staatsmann war, der klare und offene Worte zur Rolle Österreichs im Nationalsozialismus gefunden hat, gebe ich Ihnen recht. Ich will auf diese Angelegenheit nicht näher eingehen, aber ich denke mir, daß hier seine Verdienste in einer ganz anderen Art und Weise einzuschätzen sind, und ich halte es für verfehlt, Herr Klubobmann Dr. Khol, hier die Namen Waldheim und Vranitzky in einem zu erwähnen. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten des Liberalen Forums.) Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Herr Bundeskanzler! Die Grünen haben nie in Abrede gestellt, daß in einigen zentralen Punkten – die jüngste österreichische Vergangenheit gehört dazu – Bundeskanzler Dr. Vranitzky Haltung gezeigt hat. Das, was nicht nur wir ihm vorgeworfen haben, sondern was auch Teil einer wachsenden medialen Kritik war und was jetzt seinen Ausdruck in einer Zunahme des Einsatzes direkt-demokratischer Elemente in Österreich findet – es finden vermehrt Volksbegehren statt –, das war sein Nicht-Agieren, sein Nicht-Entscheiden in wesentlichen Fragen, die der Bevölkerung wichtig sind, die für große Gruppen in der Bevölkerung von existentieller Bedeutung sind. Ich habe sehr gehofft, der ganze Grüne Klub hat sehr gehofft, daß Sie auf diese Fragen, auf die uns Dr. Vranitzky eine Antwort schuldig geblieben ist – bis zuletzt –, heute zumindest in Grundzügen eine Antwort geben würden. Aber diese Hoffnung haben Sie enttäuscht. (Beifall bei den Grünen. – Rufe bei der ÖVP: Auf welche Fragen denn?)

Ich komme noch auf diese Fragen. (Abg. Dkfm. Mag. Mühlbachler: Keine Worthülsen, bitte!) Den Ausdruck "Worthülse", meine Damen und Herren, die Sie da so heftig dazwischenrufen, bitte ich Sie, nach einem genauen Studium der Rede des Herrn Bundeskanzlers Klima zu überdenken. Ich will Sie mit einigen Passagen daraus noch einmal konfrontieren.

Sie, Herr Bundeskanzler, sagten im Zusammenhang mit der österreichischen Europapolitik, mit Österreichs Integration in der Europäischen Union, daß eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU noch nicht erreicht ist und daß hier noch wichtige Entwicklungen vor uns liegen. – Herr Bundeskanzler! Sehr bald liegen sie vor uns. Im Juni fallen in Amsterdam Entscheidungen, und ich frage mich: Wie geht ein österreichischer Bundeskanzler an diese entscheidenden Verhandlungen heran, wenn in seinen Ausführungen zur österreichischen Haltung in Sachen Sicherheit das Wort "Neutralität" nicht einmal mehr vorkommt? Haben Sie diesen Standpunkt, Herr Bundeskanzler, bereits im Vorfeld aufgegeben? Wenn das so ist, dann hat auch die Sozialdemokratie mit Ihnen diesen Standpunkt aufgegeben, und dann wird sich niemand mehr bei den Verhandlungen um die nächste Stufe der Integration für diese ganz, ganz wichtige und moderne sicherheitspolitische Linie stark machen. (Beifall bei den Grünen.)

Ich kann mich noch gut an dieses Werbematerial, an diese blauen Broschüren, die Sie vor der Abstimmung verteilt haben, erinnern; darin haben Sie die Beibehaltung der österreichischen Neutralität versprochen. – Im Jänner 1997 findet sie sich in der Antrittsrede des neuen Bundeskanzlers vor dem Parlament in Sachen Sicherheitspolitik nicht mehr wieder. (Abg. Schieder: Das steht eh im Gesetz!) – Das steht eh im Gesetz. – Herr Abgeordneter, andere Dinge stehen auch im Gesetz! Sie werden aber sehr bewußt hier erwähnt. Der neue Bundeskanzler hat ja selbst von Prioritäten gesprochen – die Neutralität gehört da offenbar nicht dazu.

Die reale Politik sieht aber anders aus. Klima hat hier gesagt – es geht um die künftige österreichische Haltung –, es sei unklug, in so einer bedeutenden Frage den sicherheitspolitischen Spielraum aufzugeben und sich bereits vorzeitig auf eine einzige institutionelle Option festzulegen. – Das ist die NATO, das wissen wir alle.

Was ist daher die österreichische Neutralität? Das ist nicht mehr, Herr Abgeordneter Schieder, das, was in diesem Verfassungsgesetz steht, sondern – so wie Klima es hier heute formuliert hat – ein kluger taktischer Verhandlungsspielraum: Gebt ihr uns ein bißchen davon, geben wir vielleicht wieder einmal ein Scheibchen unserer Neutralität her! Die österreichische Neutralität steht zur Disposition. – Das ist der Klartext dieser Rede.


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