Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 63. Sitzung / Seite 54

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sich nichts gewandelt, ist nichts passiert; wir nehmen dieses Gesetz aus 1955 nach wie vor ernst und als so gegeben, und das hindert uns daran, andere Optionen offenzulassen.

Es war doch in Wahrheit auch nicht so, daß Österreich diese Neutralität ernst genommen hat. Allein schon der UNO-Beitritt hat doch zu Problemen bei den Völkerrechtlern geführt. Das wurde umgangen, weil das Beitrittsansuchen schon aus 1947 datiert hat. Das heißt, wir hatten nicht die Problematik, als neutraler Staat der UNO beitreten zu müssen, weil die Neutralität 1947 kein Thema war. In allen anderen Bereichen haben wir doch seit 1955 scheibchenweise – wie das heute schon besprochen wurde – diese Neutralität aufgegeben.

Herr Kollege Fuhrmann! Im Moskauer Memorandum ist doch auch die Neutralität nach Schweizer Muster festgehalten. Was heißt denn das "nach Schweizer Muster"? – Das haben wir eben spätestens mit dem UNO-Beitritt aufgegeben. Das haben wir allein schon dadurch aufgegeben, daß wir nichts für unsere Landesverteidigung, nichts im Hinblick auf die Selbstverteidigungsmöglichkeit dieses Landes gemacht haben und daß wir in Wahrheit – und auch das sagt man nie dazu – unsere sicherheitspolitische Ausrichtung immer unter dem Schutzschild der NATO gesehen haben. Alle unsere Landesverteidigungsdoktrinen, unsere Landesverteidigungspläne haben sich danach ausgerichtet, daß wir im Ernstfall zwei, drei Tage lang eine Abhaltewirkung haben und hoffen, daß uns die NATO dann zu Hilfe kommt. Das war doch in Wahrheit unsere sicherheitspolitische Garantie. Die Neutralität war sicherlich eine außenpolitische Funktion Österreichs in der Zeit des kalten Krieges. Sicherheitspolitik haben wir aber immer unter der Schirmherrschaft der NATO gemacht. Das haben Sie nur den Österreichern nicht gesagt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Heute sollten wir aber soweit sein, daß wir die Wahrheit sagen und uns für eine ernstzunehmende völkerrechtliche Realität einsetzen. Man sollte nicht von Kern und eigener Definition sprechen, denn eine völkerrechtliche sicherheitspolitische Neutralität nur dann Wirkung zeigt, wenn auch die anderen damit etwas anzufangen wissen. Das muß eine Außenwirkung haben. Da kann man nicht sagen, wir definieren selbst, wie wir uns da sehen. Welche sicherheitspolitische Funktion soll denn eine solche ernstgenommene Neutralität – also Isolierung von allen anderen Staaten und auch das Ernstnehmen der Aufgaben, die an solche Staaten gestellt sind – noch haben?

In Wahrheit, meine Damen und Herren, geht es nicht darum, ob Österreich weiterhin neutral bleiben soll, denn spätestens seit dem EU-Beitritt mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik haben wir auch nach außen dokumentiert, daß Österreich kein neutraler Staat mehr ist, sondern es geht darum – und da warten wir auf die Entscheidung –, ob wir in Zukunft einen Weg der Isolation, der selbständigen isolierten Landesverteidigung gehen oder ob wir Sicherheitspolitik gemeinsam mit anderen Staaten machen.

Da müssen Sie dann aber auch dazusagen, was das bedeutet, meine Damen und Herren vor allem von den Sozialdemokraten. Allein zu bleiben würde bedeuten, daß Österreich seine Landesverteidigung so hochrüsten muß, um sich gegen alle möglichen künftigen und nicht auszuschließenden Bedrohungen selbst zur Wehr setzen zu können. Das würde eine Verdreifachung, Vervierfachung unseres Landesverteidungsbudgets und auch die völlige Isolierung Österreichs in der internationalen Staatengemeinschaft bedeuten.

Der zweite Weg wäre, daß wir eben mit allen Rechten und Pflichten an der sicherheitspolitischen Integration Österreichs teilnehmen. Das ist doch die Vision Europas, meine Damen und Herren. Es gibt keine Wirtschaftsintegration, keine soziale Integration, keine Umweltintegration ohne sicherheitspolitische Integration. Darum sollte es uns doch gehen: die Demokratiebewegungen im Osten unumkehrbar zu machen und auch für unsere Zukunft und für künftige Generationen eine dauerhafte Friedensordnung aufzubauen. Da darf Österreich doch nicht abseits stehen – schon allein aufgrund seiner geopolitischen Lage. Da wäre es doch wichtig, daß auch wir Mitsprache haben, wie sich die europäische Sicherheitspolitik entwickelt, bevor Staaten wie Polen, Ungarn, Tschechien und Slowenien Mitglied dieser NATO werden. Ich verstehe nicht, daß man sagt: Die NATO muß sich dort entwickeln und muß das noch abdecken, aber wir selbst wollen dazu gar nichts beitragen, daß sie diese Entwicklung nimmt. Bei


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