Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 66. Sitzung / Seite 59

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schaftswissenschafter werden Ihnen bestätigen, daß Arbeitszeitflexibilisierung, wenn überhaupt, nur dann sinnvoll ist, wenn sie mit Arbeitszeitverkürzung gekoppelt ist.

Ich weiß schon, jetzt kommt wieder die Gewerkschaft und sagt: Das konnten wir nicht durchsetzen, aber immerhin haben wir jetzt eine Arbeitszeitflexibilisierung, die es ermöglicht, Zeitguthaben zu bilden. (Abg. Verzetnitsch: Wir haben die Möglichkeit, Arbeitszeitverkürzungen zu machen!)

Kollege Verzetnitsch, ich habe vorhin schon auf die Ausweitung der in Österreich geleisteten Überstunden hingewiesen! (Abg. Verzetnitsch: Zurückschrauben!) Mit den Maßnahmen, die Sie heute hier beschließen, dämmen Sie das Ausmaß der Mehrarbeit, der Mehrzeit, die die Leute in den Betrieben verbringen müssen, nicht ein. Im Gegenteil: Das Ausmaß wird erweitert. Alle Rahmenbedingungen dieses Gesetzes sind geeignet, Mehrarbeit zu ermöglichen.

Damit komme ich auf die Sonntagsarbeit zurück. Ich halte es für falsch, das Signal zu geben, das Sie mit dieser Ausnahme tatsächlich geben. (Abg. Verzetnitsch: Wenn wir beim gegenwärtigen Zustand bleiben, ist es noch schlechter!) Sie sind im Prinzip bereit, wirtschaftlichen Prämissen alles, auch den Sonntag, unterzuordnen! Es geht nicht, wie Kollege Kier gemeint hat, um die Scheinheiligkeit oder die Heiligkeit dieses Tages, sondern es geht um sehr viel mehr bei dieser Frage.

Natürlich ist der Sonntag auch ein Eckstein für Menschen, die sich einer religiösen Tradition verpflichtet fühlen. Selbstverständlich haben sie das Recht, ihre Traditionen und Werte in diese Gesellschaft einzubringen und zu erwarten, daß sich die Gesellschaft daran orientiert. Selbstverständlich geht es darum – wie in dem interessanten Beitrag des Kollegen Rudas, des neuen Bundesgeschäftsführers der SPÖ, angesprochen –, was wir vom Sonntag wollen: Wollen wir uns in dieser Gesellschaft ein Ausmaß an sozialer Zeit erhalten, das es uns ermöglicht, unsere Beziehungen, unsere Kultur, unsere religiösen Traditionen und unsere familiären Beziehungen zu pflegen, oder wollen wir einen Zuwachs an individueller Verfügung über die Zeit?

Ich sage klar: Es geht darum, daß die sozialen Zeiten erhalten bleiben und ausgeweitet werden. In den letzten Jahren sind nicht nur die Arbeitszeiten ausgeweitet worden, sondern für bestimmte Gruppen hat auch die individuelle Verfügung über die freie Zeit zugenommen. Was aber abgenommen hat, sind die gemeinsamen sozialen Zeiten – egal, ob man sie bei der Feuerwehr, in der Familie, in der Kirche, in politischen Parteien und Vereinen oder in sozialen Einrichtungen verbringt. (Abg. Dr. Mertel: Gesangsverein!) Genau darum geht es, meine Damen und Herren! Und mit den Einschränkungen der Sonntagsruhe, die Sie heute hier beschließen, öffnen Sie die Tür dazu, diese soziale Zeit weiter einzuschränken.

Das, was Herr Bundesgeschäftsführer Rudas als Vorschlag eingebracht hat, ist unglaublich naiv, jedoch charakteristisch für die Entwicklung einer Partei, die sich "sozialdemokratisch" nennt, wenn ihr Bundesgeschäftsführer heute hergehen und fragen kann: Warum denn nicht den Sonntag gegen irgendeinen anderen freien Tag tauschen? Man könne doch versuchen, den anderen freien Tag so zu organisieren, daß der Betroffene die Familie um sich haben kann. – Er kann offensichtlich nicht einmal über seinen eigenen Tellerrand hinausdenken.

Man könnte sich zwar irgendeinen Wochentag als freien Tag für sich selbst organisieren, aber selbstverständlich wäre es nicht möglich, ihn auch zur Pflege sozialer Beziehungen zu organisieren, egal, ob es die Familie oder eine Tätigkeit in einer sozialen Einrichtung betrifft. Das ist nicht möglich! – Es charakterisiert die politische Entwicklung in diesem Land, daß man einen solchen Vorschlag überhaupt in den Kopf bekommen kann, ohne gleichzeitig auch die Folgen zu bedenken, ja daß man einen solchen Vorschlag als Luftballon steigen lassen kann, ohne zu bedenken, welche sozialen Folgen damit verbunden sind.

Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei! Daran tragen auch Sie ein gerüttelt Maß an Schuld! Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei einfach nur solche Luftblasen steigen läßt, sondern dahinter muß wohl eine Absicht stehen. Damit muß wohl das erklärte Ziel verbunden sein, bestimmten


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