Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 66. Sitzung / Seite 70

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Seit 1990 hat sich etwas ganz Faszinierendes getan, etwas, was wir alle nicht bemerkt haben: Seit 1990 arbeiten wir weniger Stunden im Jahr, als wir aktive Freizeit haben. Also tun wir doch bitte nicht so, als ob das ganze Leben nur aus Arbeit bestünde!

Die konkrete Frage ist also: Was tun wir mit dieser positiven Entwicklung, mit der positiven Entwicklung, daß der durchschnittliche Österreicher, die durchschnittliche Österreicherin mehr aktive Freizeit, abzüglich der Ruhe- und der Haushaltszeiten, als Arbeitszeit hat? Wie gestalten wir die neue Arbeitszeit neu, wie verteilen wir sie neu? Das ist eine spannende Diskussion, Frau Kollegin Steibl, die nicht zu Ende ist.

Wir beginnen jetzt erst, endlich einmal über die Zeitordnung unserer Gesellschaft wirklich nachzudenken. Die Neuverteilung der Arbeit wird auch heißen: Überstunden gegen Arbeitslosigkeit. Das ist doch ein Thema, über das nachzudenken faszinierend wäre. Da sind nämlich neue Spielregeln zu finden: Überstunden gegen Stempelzeiten, ein Thema, das gerade in Branchen mit sehr starken Saisonstrukturen immer wieder aktuell ist, neue Qualifizierung in der Arbeit, die Einstellung der Arbeitsmenge auf die persönliche Einkommenssituation des Mitarbeiters. Es gibt Mitarbeiter, die ausschließlich von ihrem unselbständigen Einkommen leben, viel zu viele noch, aber es gibt auch Mitarbeiter, die bereits über andere Einkommensarten verfügen, die andere Wünsche bezüglich der Gestaltung ihrer Arbeitswelt haben.

Letztlich geht es um die persönliche Individualisierung der Arbeitswelt. Wenn Sie sagen: Der Sonntag ist mir heilig, und ich will am Sonntag frei haben!, dann sage ich Ihnen: Einverstanden! Akzeptiert! Sie haben recht. Aber woher nehmen Sie das Recht, dem Menschen, der lieber am Wochenende arbeitet und unter der Woche frei hat, zu sagen: Nein, das darfst du nicht, mein Lieber, denn ich weiß, was Glück ist!? Glücklich ist nur, wer am Samstag und Sonntag frei hat. Wer nicht am Samstag und am Sonntag frei hat, muß daher unglücklich sein. Ja woher nehmen Sie denn diesen Mut?

Das ist doch der Punkt in der neuen Gestaltung einer Welt, die den Menschen mehr Freizeit gibt, in einer Welt, in der Arbeit einen wichtigen Stellenwert hat, aber nicht mehr den ausschließlich dominierenden.

Der Wandel auf den Märkten tut ein übriges. Nürnberger sprach von der Qualität des Industriestandortes. Jawohl, Herr Nürnberger, Sie haben ja recht – auf Ihren leeren Platz zeigend –, aber es gibt auch einen Qualitätsstandort der Dienstleistungsgesellschaft, der eine viel größere Bedeutung hat, auch im Bereich der industriellen Dienstleistung, der industriellen Produktion. Warum debattiert das Hohe Haus fast ausschließlich immer konzentriert auf die letzten Reste der industriellen Produktion von 450 000 Mitarbeitern, die wir in Österreich haben und deren Zahl weiter sinken wird? Diskutieren Sie doch über die 2 Millionen Menschen, die in der Dienstleistung, auch im industriellen Bereich, zusätzlich Arbeit finden!

Die Antwort finden Sie in den Rahmenbedingungen: Anpassung nicht nur an die Industriegesellschaft, Anpassung auch an die Dienstleistungsgesellschaft, Teilzeitarbeit als eine neue Möglichkeit, als eine neue Chance. Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, daß bis zu 20 Prozent der Menschen, die heute vollzeitarbeiten, froh wären, wenn sie teilzeitarbeiten könnten. Es gibt aber auch eine Untersuchung, aus der hervorgeht, daß manche jener Menschen, die teilzeitarbeiten, gerne einen Vollzeitarbeitsplatz hätten. – Das meine ich mit der Neuorganisation der Arbeit, die wir nicht von oben hinunter schaffen werden, sondern immer nur von unten hinauf organisieren können.

Die Flexibilisierung ist kein Ziel als solches, sie ist eine Notwendigkeit der Produktivität, denn lieber flexibel Arbeit haben als unflexibel keine haben.

Damit komme ich zum Dogma der Überstunde. Die Überstunde ist doch eine Frage eines Durchrechnungszeitraumes, und ich begrüße, daß Sie den Durchrechnungszeitraum jetzt mit einem Jahr definiert haben. Alles, was über die Jahresstunden hinausgeht, muß selbstverständlich Überstunde bleiben. Alles, was über eine gewisse Wochenregelung hinausgeht, muß selbstverständlich Überstunde bleiben. Aber eines muß klar sein: Stehzeiten zu bezahlen, wo


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