Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 75. Sitzung / Seite 13

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Kommission sitzt. Das ist ja wohl nicht vorstellbar. Ich befürchte, daß sogar die Erweiterungsverhandlungen insgesamt gefährdet wären, wenn das manche großen Länder extrem weitertreiben.

Auch die Umgewichtung der Stimmen ist für mich deswegen sehr schwer verständlich, weil die Union bisher sehr gut funktioniert hat. Es war ja fast nie so, daß die großen Fünf gegen die kleineren Zehn agiert oder abgestimmt haben. Meistens war ein Großer oder zwei Große oder eine Gruppe von Ländern, die Mittelmeerländer, die Nordländer, die umweltinteressierten oder andere, einer bestimmten Linie anhängend und die anderen nicht. Und so wird es auch in Zukunft sein.

Was ich mir vorstellen könnte – am Ende, am letzten Tag –, wäre vielleicht eine zusätzliche Sicherheit, nämlich daß jeder Beschluß der Union zusätzlich die Bevölkerungsmehrheit hinter sich haben sollte. Wenn also eine qualifizierte Mehrheitsabstimmung stattfindet, dann sollten nicht nur die Stimmen im Rat gezählt werden, sondern es sollte auch überprüft werden, ob etwa 60 Prozent der europäischen Bevölkerung dahinterstehen. Das kann ich mir vorstellen – etwas anderes nicht!

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Eine Zusatzfrage, wie ich annehme.

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Vizekanzler! Das würde ich als Zielrichtung genauso sehen wie Sie. Aber haben Sie nicht auch den Eindruck, daß hinter diesem doch sehr starken Drängen einzelner großer Staaten in der Europäischen Union eine gewisse Veränderung in der Entwicklung steht, daß nämlich nationalstaatliche Machtpositionen stärker in den Vordergrund rücken und der Integrationsgedanke dadurch etwas ins Hintertreffen gerät?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich sehe vor allem die Tendenz, daß manche, vor allem einige größere Staaten, die EU-Kommission zu etwas ähnlichem wie den UNO-Sicherheitsrat umfunktionieren wollen, in dem die großen Länder einen ständigen Vertreter haben und die Vertretung der kleinen Länder in einem bestimmten Zeitraum rotiert. Das würde bedeuten, daß sie nicht automatisch im Sicherheitsrat oder in der Europäischen Kommission vertreten wären, daß sie weniger wichtige Ressorts innehätten und nur alle zwei Jahre oder fünf Jahre drankämen.

Ich halte ein solches Modell für absurd. Das ist nicht mit den Grundprinzipien der Europäischen Verfassung und den Gründungsgesetzen der Union vereinbar, daher werden wir es auch ablehnen. Und Sie können sicher sein: Ohne unsere Stimmen gibt es keinen Konsens! – Das ist ja das Angenehme bei diesen Verhandlungen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Nächste Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Kammerlander.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne): Wird Österreich dem "Maastricht II"-Vertrag auch dann zustimmen, wenn darin ein flexibles Vorgehen für die einzelnen Mitgliedstaaten im Sinne eines Europa von zwei Geschwindigkeiten vorgesehen ist?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Abgeordnete! Da muß man ein bißchen schärfer nachfragen, denn das gibt es ja heute schon, nur sind es meistens nicht zwei Geschwindigkeiten, denn es gibt auch heute schon Flexibilitätsregelungen. Diese sind allerdings meistens durch Zufall oder in der Krise erfunden worden. Zum Beispiel das berühmte Sozialprotokoll, das 14 Mitgliedstaaten akzeptiert haben – die Briten nicht –, ist ein solches Beispiel für einen Ausweg, für gelebte Flexibilität. Der Vertrag von Schengen, an dem sechs Länder teilnehmen, ist eine Art Flexibilität. Nur: Meiner Meinung nach sind das schlechte Formen der Flexibilität. Man sollte eher im Vertrag klar regeln, unter welchen Voraussetzungen, auf welchen Gebieten flexible Lösungen möglich sind.


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