Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 142

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Jetzt kommt aber die Kritik, Frau Ministerin. Wenn Sie in Ihrer Stellungnahme heute sagen, daß jene Schüler, die viele Nachhilfestunden brauchen, wahrscheinlich den falschen Schultyp gewählt haben, dann halte ich das für eine vermessene Antwort. Ich halte sie deswegen für vermessen, weil Sie genausogut wie ich und jeder hier herinnen wissen, daß die Leistungsschwäche in einem bestimmten Bereich – ob das Sprachen sind, ob das Mathematik ist oder irgendein anderes Fach – noch lange nicht wirklich etwas über die Qualifikation und die Leistungsfähigkeit des oder der Betreffenden aussagt.

Wir müssen uns wahrscheinlich, wenn wir über Schule und Bildungsreform diskutieren, von jenem Bild von Schule verabschieden, das wir aus vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit uns mitgetragen haben in die neue Zeit und das da vorsieht, daß die Qualifikation schon erreicht sei, wenn ein bestimmter Fächerkanon gelehrt wird und innerhalb dieses Fächerkanons bestimmte Sachen wiederum Jahr für Jahr heruntergebetet werden.

Damit bin ich in der Kritik auch inhaltlich schon bei dem, was Sie durchaus an Reformgedanken zum Thema Rahmenlehrplan, Kernstoff und Erweiterungsstoff zu diskutieren versuchen. Ich habe mir das in einem Fach angeschaut, und zwar in Biologie. Es hat mich interessiert, weil Biologie mich interessiert. Da finde ich im Kernstoff von Biologie nach wie vor drinnen, daß der Schüler oder die Schülerin sozusagen über den inneren Aufbau des Wurms, über seine Zellstrukturen, über seine Physiologie und und und genauso Bescheid wissen muß wie wir, als wir das vor 30, 40 Jahren gelernt haben. Das ist kein Hinweis auf modernes Lernen. Es gibt andere Bereiche, in denen durchaus mehr versucht wird, aber das würde ich nicht unbedingt als den bildungspolitischen Fortschritt bezeichnen.

Ich komme noch einmal zur Debatte und zu den Ausführungen des Kollegen Höchtl zurück, weil er hier – aus seiner Warte natürlich verständlich – die großen Erfolge gepriesen und als vermeintlichen Leistungsausweis für die Politik der ÖVP die großen Erfolge der Volksschule im internationalen Vergleich angeführt hat.

Herr Kollege Höchtl weiß offensichtlich nicht, daß die Volksschule der einzige Schultyp in Österreich ist, der de facto eine Gesamtschule, eine gemeinsame Schule aller Lernenden von sechs bis zehn Jahren ist. Und trotz dieser gemeinsamen Schule aller Lernenden von sechs bis zehn Jahren finden wir hier im internationalen Vergleich sehr gute Leistungsmerkmale.

Wir, meine Damen und Herren von der ÖVP, wir als Grüne würden uns wünschen, daß das, was für die Volksschule gilt, und zwar offensichtlich auch als Leistungsausweis gilt, auch für die Zehn- bis Vierzehnjährigen gelten soll. Wir fordern auch eine gemeinsame Schule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen ein. Wir halten das für sinnvoll, und es ist richtig und wichtig gewesen, daß das Liberale Forum in der Anfrage darauf hingewiesen hat, welche Kosten dieses Schulsystem, dieses äußerlich gegliederte Schulsystem, das zwischen Hauptschule und Gymnasium differenziert, verursacht und welche schlechten Effekte es produziert.

Offensichtlich – das zeigen auch die internationalen Beispiele, aber Herr Abgeordneter Höchtl zitierte in diesem Zusammenhang dann nicht den internationalen Vergleich – können alle Länder durchaus gute Erfahrungen mit der gemeinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen machen. (Abg. Dr. Höchtl: Das stimmt nicht! Das stimmt doch nicht! Das ist ein Blödsinn!) Die Frage ist nur, wie man sie gliedert. Das wissen wir doch auch. Wir kennen nicht mehr nur die äußere Differenzierung, sondern wir kennen auch die innere Differenzierung: Und dazu bekennen wir uns.

Wir halten es für richtig, daß die innere Differenzierung der Schulen weiterentwickelt wird. Dafür ist aber die äußere Differenzierung ein großes Hindernis, Herr Abgeordneter Höchtl. Sie verhindert sie nicht, aber sie ist ein großes Hindernis, weil sie diese innere Differenzierung nur unter dem Diktat der knappen Kassen möglich macht. Das ist das Problem. Diese äußere Schulgliederung, die Sie so verteidigen, kostet uns immens viel Geld. Wir könnten ein wesentlich effektiveres, ein wesentlich effizienteres Schulsystem im Interesse der Schüler und Schülerinnen haben, wenn wir die Schule etwas mehr nach den Schülern orientieren würden, wenn wir etwas mehr auf die innere Differenzierung, auf die Neigungen der Schüler, auf die


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite