Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 81. Sitzung / Seite 71

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Verfassungsbestimmung ist ein erster wichtiger Schritt, denn durch die verfassungsrechtliche Verankerung entsteht zumindest eine erhöhte Begründungspflicht, wenn es zu Diskriminierungen kommt. Ich bin mir leider sicher, daß aufgrund unserer derzeitigen Gesetzeslage die Behindertenverbände ein weites Betätigungsfeld haben werden, wenn es gilt, die davon Betroffenen in letzter Konsequenz auch weiterhin zu unterstützen.

Ich denke nur an die erst kürzlich in diesem Hause beschlossenen Gesetze im Zusammenhang mit der Integration. Im Bereich der Integration Sekundarstufe I gelten in Österreich nun die Regelungen, daß organisatorische Gründe dafür ausreichen, daß die Aufnahme eines Kindes in eine integrative Klasse im Sekundarbereich hintangehalten wird. Diese organisatorische Begründung wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, wie bereits ein Verfassungsgerichtshofurteil in Deutschland deutlich macht. Diesem ersten wichtigen Schritt müssen jedenfalls viele weitere Schritte folgen, und ich meine, die Aktivitäten sollten möglichst heute schon starten. Es gilt erstens, alle gesetzlichen Bestimmungen auf allen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – zu durchforsten, um Diskriminierungen aufzuzeigen und um diese Gesetze dann auch entsprechend zu sanieren.

Wir sollten uns auch rasch daranmachen, ein Gleichstellungsgesetz zu erarbeiten, wie es bereits seit 1990 in den USA und auch in Großbritannien besteht und wie es in vielen anderen europäischen Ländern bereits diskutiert wird. Mit einem solchen Gleichstellungsgesetz ist jedenfalls sicherzustellen, daß alle Menschen, insbesondere die behinderten Menschen, den Zugang zu allen Bildungseinrichtungen haben, daß unsere Schulen behindertengerecht ausgestattet werden – da haben wir einen großen Nachholbedarf – und daß es keine diskriminierende Bestimmung für die Aufnahme von behinderten Kindern in das Schulsystem gibt.

Wenn Kollegin Rauch-Kallat hier so schön davon gesprochen hat, daß wir geistig Behinderte und Körper- und Sinnesbehinderte doch nicht gegeneinander ausspielen dürfen, dann, muß ich sagen, befindet sie sich im Spannungsfeld zur Unterrichtsministerin und selbst zu jenen Beschlüssen, die sie hier in diesem Hause mitgetragen hat. Wir unterscheiden nämlich gerade im Bereich der schulischen Integration sehr wohl zwischen Geistes-, Sinnes- und Körperbehinderungen. Wir versagen insbesondere den körper- und sinnesbehinderten Kindern im Sekundarbereich I jegliche Unterstützung, es sei denn, diese Kinder würden sich in einem sonderpädagogischen Zentrum auch eine Geistesbehinderung aufstempeln lassen.

Gerade in jüngster Vergangenheit sind zwei ganz konkrete Fälle sehr aktuell geworden. Ich erinnere an das hörbehinderte Mädchen Anja in Reutte, dem man eine weitere Beschulung versagt und wo die Bevormundung durch den Gesetzgeber – oder in diesem Fall durch die Verwaltung – sogar so weit geht, daß das Datenschutzgesetz verletzt wird und daß man, ohne Rücksprache mit dem Mädchen zu halten, den Schulerfolg dieses Mädchens mit Hilfe des Landesschulrates in den Medien öffentlich darstellt.

Ich erinnere auch an einen aktuellen Fall betreffend ein Mädchen in Wien, dem die Wiederholung einer Klasse verboten wird. Die Unterrichtsministerin meint, auch eine Wiederholung dieser Klasse könne nicht sicherstellen, daß der Schulabschluß positiv ausfallen werde. Ich frage mich wirklich, ob man von einer Gleichbehandlung sprechen kann, wenn Wiederholungen – die Zahl der Repetenten liegt in Österreich bei 50 000 – doch selbstverständlich sind.

Wir brauchen Veränderungen bei Verkehrseinrichtungen, öffentlichen Gebäuden und Gleichstellungen bei den Verträgen. Ein Gleichstellungsgesetz wäre die Basis dafür, daß Diskriminierungen geklagt und Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können.

Es gäbe noch eine Vielzahl von Aktivitäten aufzuzeigen, die ehestmöglich in Angriff genommen werden müssen. Ich habe leider nicht mehr die notwendige Zeit zur Verfügung, aber ich möchte mit folgendem Satz schließen: Es ist eine Frage der Menschenwürde, daß wir allen behinderten Menschen ein Leben in Selbstbestimmung ermöglichen. Daher sollten wir gerade bei der Wortwahl vorsichtiger sein, wenn wir Begriffe wie Sondereinrichtungen, geschützte Werkstätten, Betreuung und so weiter verwenden.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite