Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 90. Sitzung / Seite 101

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Ich darf hier von diesem Rednerpult aus folgendes sagen: Ich selbst bin ein Sohn südmährischer Eltern. Meine Mutter stammte aus Joslowitz, mein Vater war geborener Gutenfelder und dann berufstätig in Nikolsburg, Grusbach und in Joslowitz. Ich weiß, welch enorme Probleme dadurch entstanden sind, daß man im Jahre 1945 binnen weniger Minuten aus den jeweiligen Häusern vertrieben wurde, ohne in irgendeiner Form persönliche Schuld in der Zeit vorher auf sich geladen zu haben. Ich weiß, daß nicht nur meine Eltern davon betroffen waren, sondern es waren über 3 200 000 Personen, die aus diesen Regionen vertrieben wurden. (Abg. Dr. Haselsteiner: Tatsächlich?! – Ruf bei den Freiheitlichen: Was soll das? – Weitere Zwischenrufe.)

Herr Kollege Haselsteiner! Seien Sie froh, daß Sie nicht betroffen waren. Das ist eine relativ billige Zwischenrufaktion Ihrerseits. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Mag. Stadler: Das ist nicht billig, sondern dumm! Geschmacklos und dumm!) Ich sage das nicht. Ich habe gesagt: billig! (Ruf bei den Freiheitlichen: Zynisch liberal!)

Es sind 3,2 Millionen Menschen, die ein derartiges Schicksal erlitten haben, die bei ihrer Vertreibung großteils gefoltert worden sind, wobei insgesamt 250 000 Personen umgekommen sind, weil sie brutal ausgetrieben, erschlagen, erschossen worden sind. Ich glaube, es ist durchaus der Zeitpunkt, daß man angesichts einer derartigen Debatte auch über diese Personen, die ja dann zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in Österreich ihre ständige Heimat gefunden haben – der Großteil dieser 3,2 Millionen ist nach Bayern, nach Deutschland weitergegangen –, diskutiert, denn das sind unsere Mitbürger, die sehr, sehr viel an persönlicher Bereitschaft für den Wiederaufbau Österreichs aufgebracht haben, ihren Einsatz geleistet haben und für die Wiedererrichtung unserer Republik mit viel Kraft, Tat und Einsatzwillen gekämpft haben. Und dafür möchte ihnen heute bei dieser Debatte ein Dankeschön zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Dietachmayr. )

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Schicksal dieser Personen ist in der gesamten Diskussion seit 1945 sehr häufig nur unter sehr einseitigen ideologischen Aspekten betrachtet und behandelt worden. Ich glaube, wir haben nun, 52 Jahre nach diesem Vorfall, die Möglichkeit, uns einmal davon zu lösen. Ich habe immer die Auffassung vertreten, nicht nur für hier und für andere Regionen Europas, sondern als langjähriger Menschenrechtssprecher der Österreichischen Volkspartei auch für viele andere Regionen der Welt, daß niemals Kollektivschuld vorgebracht oder akzeptiert werden darf, sondern jeweils die Handlungen der Einzelperson entscheidend zu sein haben für das, was man jemandem vorwirft oder wofür jemand zur Verantwortung gezogen wird. Das ist ein grundsätzlicher Aspekt, und all diese Personen verdienen es, daß das hier im Hohen Haus ausgesprochen wird, was ich hiemit tue.

Kollektivschuld darf niemals ein Maßstab sein, sondern das individuelle Verhalten muß Gegenstand der Bewertung sein. Deswegen, glaube ich, ist es auch sehr wichtig, diese Frage losgelöst von anderen ideologisch-historischen Aspekten zu betrachten und vielleicht doch in den kommenden Monaten – nicht nur heute – zu einer umfassenderen Diskussion dieses Problems zu kommen – aus menschenrechtlicher, aus menschlicher, aus sozialer Sicht, aber auch zur Aufarbeitung historischer Aspekte, die man nach 52 Jahren vielleicht anders sehen kann, als dies unmittelbar nach dem Krieg möglich war. (Beifall des Abg. Jung. ) Ich glaube, es ist das zweifellos ein Anlaß, dem sich alle verbunden fühlen sollten, nicht mit Beschimpfungen zu reagieren, sondern mit der Bereitschaft, aufzuarbeiten und diese Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, in ihrer Bedeutung zu werten und positiv zu beurteilen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie des Abg. Ing. Tychtl. )

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ... (Abg. Mag. Stadler: Kollege Höchtl, einen Zwischenruf! Wird Ihr Außenminister darauf bestehen, daß die Beneš-Dekrete und dieses sogenannte Amnestiegesetz vor Verhandlungen wegkommen? – Nicht während der Verhandlungen!) Herr Kollege Stadler! Ich möchte diese Frage jetzt allgemein behandeln und werde Ihnen auch eine Antwort darauf geben. (Abg. Scheibner: Das sind die Schlußfolgerungen!) Nein, nein, Herr Kollege. (Abg. Mag. Stadler: Ja!) Sie haben ja auch die Möglichkeit zu reden. Ich nütze meine Redezeit dafür, meine Sicht dieser Dinge darzustellen. (Abg. Mag. Stadler: Nicht die der ÖVP?!) Das ist durchaus die Sicht vieler in der Volkspartei und auch vieler, hoffe ich, in den anderen demokratischen Parteien unseres Parteienspektrums.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite