Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 94. Sitzung / Seite 92

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Sie von der ÖVP waren gestern auch der Meinung, man sollte eine familienpolitische Debatte abhalten, und Sie haben daher für "Ihre" Aktuelle Stunde den – angesichts des Verlaufes der Debatte und der Beiträge der ÖVP für mich eher skurrilen – Titel "zukunftsorientierte Familienpolitik" gewählt. (Abg. Steibl: Dann haben Sie nicht richtig hingehört!) Ich habe sehr genau hingehört! (Abg. Dr. Höchtl: Dann sind Sie taub!) Wissen Sie, ich hätte etwas nicht ... (Abg. Dr. Khol: Dann haben Sie uns nicht verstanden!) Ich habe es verstanden, aber wir haben ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis dieses Problems.

Mich hat etwas dabei eigenartig berührt. Ich habe kürzlich ein interessantes Buch gelesen. (Abg. Dr. Khol: Aber! Sie lesen auch Bücher! – Abg. Dr. Haselsteiner, zum Abg. Dr. Khol: Bist du wie der Pröll?) Ich lese auch Bücher, ganz recht. Ich sage Ihnen, welches in Erinnerung an Ihre Diskussion von gestern von besonderem Interesse ist. Es heißt "Muttertag und Mutterkreuz". Es ist ein Buch über den Kult um die deutsche Mutter im Nationalsozialismus. – Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß mich Wortmeldungen aus Ihren Reihen an diese von mir erst kürzlich genossene Lektüre erinnern. (Abg. Haller: Sie haben ja einen Komplex! – Abg. Dr. Graf: "Genossen" haben Sie dieses Buch? – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Kollegin Moser von der ÖVP sagte gestern wörtlich, Kinder seien keine Sache der privaten Lebensgestaltung, Kinder seien ein "Geschenk an die Gesellschaft". (Abg. Rauch-Kallat: Natürlich!)  – In dem von mir erwähnten Buch steht, Kinder seien ein "Geschenk an den Führer". (Abg. Dr. Höchtl: Da ist aber ein bißchen ein Unterschied! Wissen Sie nicht, was im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes steht? – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich gebe zu, es ist nicht genau dasselbe, Gott sei Dank. (Abg. Dr. Khol: Nein! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP. – Abg. Dr. Graf: Die armen Kinder werden jetzt von der Faschismuskeule getroffen!) Aber diese Assoziation hat sich mir aufgedrängt, denn auch damals war es so, daß Kinder nicht als private oder persönliche Angelegenheit, sondern als Staatsaufgabe gesehen wurden.

Was Sie tun, ist, Kinder vergesellschaften. (Abg. Dr. Höchtl: Wo steht das im Verfassungsgerichtsurteil drinnen?) Ich halte das bei einer Partei, die immer von Eigenverantwortung und vom Zurückdrängen des Staates redet und auch den Begriff "Subsidiarität" öfters im Munde führt, für besonders bemerkenswert! Ausgerechnet diese Partei will Kinder vergesellschaften!

Ich gebe zu, daß Ihnen der Verfassungsgerichtshof diese Artikulation erleichtert hat. (Abg. Mag. Kukacka: Schwachsinn! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Aber auch Sie haben dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung erleichtert. Es gab ein kongeniales Zusammenwirken zwischen Verfassungsgerichtshof und ÖVP. (Ruf bei der ÖVP: Sie phantasieren!) Ich erinnere mich gut daran, daß wir erst vor kurzem darüber gesprochen haben, in Österreich eine bestimmte politische Kultur einzuführen, die Veröffentlichung der sogenannten Dissenting Opinion, die abweichende Stellungnahme beim Verfassungsgerichtshof. – Sie werden, wenn Sie sich das letzte Interview der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes in Deutschland durchlesen, sehen, welche positiven demokratiepolitischen Auswirkungen von einer solchen Dissenting Opinion ausgehen können. (Abg. Dr. Graf: Sie schauen immer nach Deutschland, wir sind aber in Österreich!) Wir haben darüber schon öfters diskutiert, die ÖVP hatte bislang jedoch immer abgeblockt. Vor dem Sommer aber waren wir bereits soweit, unser Rechtsverständnis weiterzuentwickeln – plötzlich aber wurde die Diskussion beendet, und zwar deswegen, weil es notwendig war, vorher noch dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die Familienbesteuerung über die Bühne zu bringen.

Ich muß aber auch sagen, daß dieses Zusammenwirken durch die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der SPÖ erleichtert wurde, denn Sie haben es nicht zusammengebracht, gemeinsam eine meritorische Äußerung im Verfassungsgerichtshofverfahren zu machen. Dann wäre es dem Verfassungsgerichtshof nämlich viel schwerer gefallen, seine Ideen so, wie er es nun getan hat, zu artikulieren.

Das heißt, es sind mehrere Dinge zusammengekommen: Ihr habt euch auf keine gemeinsame Linie einigen können, damit gab es keine meritorische Stellungnahme der Bundesregierung, und


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite