Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 96. Sitzung / Seite 55

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14.38

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Sehr geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen Volksanwältinnen! – Der Herr Volksanwalt ist jetzt wahrscheinlich essen. Die Frau Bundesministerin wird auch wieder kommen. Der einzige, der wirklich fehlt, ist der Herr Bundeskanzler, was ich außerordentlich bedauere, zumal die Beratungen im Budgetausschuß immer sehr kurz sind und Fragen deshalb sehr gebündelt stattzufinden haben. Wir sind über eine Frage an ihn und seine entsprechende Antwort darauf nie hinausgekommen. Ich glaube dann immer, daß im Plenum noch Zeit sein wird, sich mit ihm intensiv auseinanderzusetzen, aber dem ist nicht so.

Ich widme mich in meinen Ausführungen zuerst einer Initiative, die nichts mit dem Herrn Bundeskanzler direkt zu tun hat, indirekt jedoch sehr viel. Diese Initiative verdanken wir engagierten Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Auch ich selbst habe mich schon vor einiger Zeit dafür eingesetzt, in Österreich einen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Initiative ist jetzt vom Präsidenten des Nationalrates Dr. Fischer aufgenommen worden. Er hat im Zuge der Vorberatungen zum Budgetkapitel Oberste Organe mit allen fünf Fraktionen Kontakt aufgenommen und Einvernehmen darüber erzielt, daß bei dem jetzt zur Diskussion stehenden Budgetkapitel eine Entschließung, die die Einführung eines Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus in Österreich vorsieht, eingebracht wird.

Ich möchte ihm aufrichtig für diese Initiative danken, ich möchte ihm dafür danken, daß er das ernst genommen hat, was Bürger und Bürgerinnen dieses Landes wünschen, die auch Anregungen an den Nationalrat herantragen. Ich möchte ihm nicht zuletzt auch deshalb danken, weil er damit etwas nachvollzieht, wofür es schon ausländische Beispiele gibt. In der Bundesrepublik Deutschland ist auf Initiative des Bundespräsidenten Roman Herzog auch ein jährlicher Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – dort wird er "Auschwitz-Gedenktag" genannt – eingeführt, der heuer bereits zum zweiten Mal begangen wurde. In Österreich wird am 5. Mai 1998 dieser Gedenktag erstmals zum Tragen kommen.

Ich möchte die betreffende Entschließung jetzt nicht vorlesen, da Sie sie ja in den Beilagen zu den jetzigen Beratungen finden können. Diese Entschließung hat meiner Überzeugung nach weit mehr Bedeutung, als die kurzen, knappen Sätze in diesem Antrag überhaupt zum Ausdruck bringen. Denn diese Entschließung und den daraus resultierenden Gedenktag sehe ich als sehr große Chance für die Republik Österreich, unser eigenes Bewußtsein und das unserer Nachkommen den unfaßbaren Verbrechen gegenüber, die während der NS-Zeit geschehen sind, in unserem Gedenken an die Opfer festzuschreiben.

In Verbindung mit einem jährlich wiederkehrenden Gedenktag scheint mir dies besonders gut und effizient machbar zu sein. Ein Tag wider das Vergessen! Meine Damen und Herren! Das ist wichtig in einer Zeit, in der die Generationen, die persönliche Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus gemacht haben, allmählich aussterben – ich meine, daß wir uns heute in erster Linie mit der zweiten, dritten und nachfolgenden Generation auseinandersetzen müssen, sollten und auch werden –, in der immer weniger Zeitzeugen das Erlittene und das Grauen, das ihnen widerfahren ist, persönlich wiedergeben und damit auch weitertragen können. Genau das ist der Grund dafür, daß dieser Gedenktag so wichtig ist.

Viele Österreicherinnen und Österreicher haben sich nach dem Krieg diesem Gedenken in einer Weise gestellt, daß sie sich entweder berechtigt oder unberechtigt als Opfer zu sehen oder zu fühlen geglaubt haben und sich nicht mit der Mitverantwortung Österreichs an den Greueln des Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben.

Meine Damen und Herren! Sie alle wissen ganz genau, daß erst in jüngster Zeit in Österreich das Bewußtsein darüber breiter geworden ist, daß gerade der Anteil der österreichischen Täter am NS-Massenmord überdurchschnittlich hoch war, daß Österreicher nicht aus der zweiten Reihe agiert haben, sondern vielfach die absolut wichtigsten Treiber und Betreiber von maschinellem Massenmord gewesen sind; Österreicher  – nicht irgend jemand weit weg, sondern


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