Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 102. Sitzung / Seite 130

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stehe, die sagt: Wir wünschen uns eine Debatte über die Rolle und den Stellenwert von Kirchen und Religionsgemeinschaften in dieser Gesellschaft, und daher sind wir auch bereit, über dieses Anerkennungsgesetz zu diskutieren.

Alle Stellungnahmen betonen das, aber Sie gehen mit einer – ich würde meinen – Unverfrorenheit her und sagen, wenn wir dieses Gesetz nicht beschließen, dann ist alles im Eimer, dann überrollen die Sekten Österreich.

Meine Damen und Herren! Da möchte ich Sie schon darauf hinweisen: Bringen Sie zuerst Ihre Hausaufgaben in Ordnung! Klären Sie die Verhältnisse auch in bezug auf sogenannte Sekten und destruktive Kulte – oder welchen Begriff immer Sie verwenden wollen, weil alle Begriffe in dieser Hinsicht problematisch sind. Aber eines sei in diesem Zusammenhang schon gesagt, und das hat auch Kirchenrechtler Potz in seiner Stellungnahme, von der ich glaube, daß sie allen Fraktionen zugeleitet worden ist, betont: Dieses Gesetz, auch wenn Sie es in der vorliegenden Form beschließen, ist nicht geeignet, die Frage der Sekten in irgendeiner Form zu klären und zu regeln. In keiner Weise! (Zwischenruf des Abg. Mag. Posch. ) Was Sie mit diesem Gesetz machen, ist meiner Ansicht nach – mit dieser Meinung stehe ich nicht allein da –, in verfassungsrechtliche Freiheiten grob einzugreifen.

Herr Kollege Niederwieser! Du kannst entrüstet sein, aber das ist nicht meine Meinung. Ich wiederhole, es ist die Meinung von zahlreichen Ministerien, von Kirchenrechtlern und auch von großen Kirchen, die das ebenso sehen wie die Grünen, die Liberalen und seit neuem auch die Freiheitlichen. Es ist nicht so, als ob hier nur eine kleine Gruppe, eine kleine Partei ihre Meinung vertreten würde, sondern das zieht sich durch alle Stellungnahmen. Du mußt diese Stellungnahmen auch lesen. Ich erwarte das. Wir hatten erst nach dem Ausschuß die Möglichkeit, alle Stellungnahmen zu lesen, und ich habe sie sehr gründlich studiert, das kann ich versichern. Ich habe sie sehr gründlich studiert, und es gibt keinen Zweifel daran, daß alle diese Stellungnahmen zu diesem Gesetz eigentlich vernichtend sind, vor allem hinsichtlich der großen Grundsätze, die dieses Gesetz zu regeln versucht.

Ich nenne nur einige:

Das Gesetz erhebt den Anspruch – der Begriff ist auch schon gefallen –, ein Zweiklassengesetz für die Religionsgemeinschaften zu sein. Das stimmt nicht, betone ich. Wir haben nicht zwei Klassen, wir haben mindestens fünf Klassen. Wir haben die Kirchen und Religionsgesellschaften, die schon nach dem Anerkennungsgesetz anerkannt sind, von denen – darauf wird auch in den Stellungnahmen hingewiesen – nur vier oder fünf – es sind insgesamt zwölf – übrigbleiben würden, wenn wir die Kriterien dieses neuen Gesetzes über religiöse Bekenntnisgemeinschaften anwenden würden. Nur vier oder fünf würden übrigbleiben! Wie lautet deine Antwort, Kollege Niederwieser, darauf, daß nur vier oder fünf übrigbleiben würden?

Wir haben aber nicht nur das Anerkennungsgesetz, sondern weiters auch dieses neue Bundesgesetz über religiöse Bekenntnisgemeinschaften, das zwei Klassen schafft: die religiösen Bekenntnisgemeinschaften und jene, die nach dem neuen Verfahren, das das alte Anerkennungsgesetz derogiert, als Kirchen oder Religionsgesellschaften anerkannt werden sollen. Das geschieht aber nach einem völlig anderen Schlüssel, nach völlig anderen Prinzipien. Das heißt also, wir haben inzwischen eine dritte Klasse: die Religionsgemeinschaften nach dem neuen Gesetz und die anerkannten Kirchen nach dem neuen Gesetz.

Dann haben wir noch eine vierte Klasse, das sind jene religiösen Gemeinschaften, die seit 1981 nach dem Vereinsgesetz anerkannt werden.

Und dann haben wir eine fünfte Klasse, das sind jene religiösen Gemeinschaften, die nicht anerkannt werden; weder nach dem neuen Gesetz, das wir heute beschließen sollen, noch nach dem Vereinsgesetz.

Ich frage mich schon, wie man angesichts dessen so vermessen sein und sich herausstellen und sagen kann: Damit regeln wir die Sektenproblematik. Keine Spur davon! Sich ein bißchen mit diesem Problem auseinanderzusetzen – ich glaube, Kollege Amon hat sich schon damit


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