Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 104. Sitzung / Seite 103

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Kleine Nachhilfe, Kollege Schieder! Moskauer Memorandum vom 15. April 1955: "Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegeben Erklärungen, keinen militärischen Bündnissen beizutreten" und so weiter, "wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wurde." (Abg. Schieder: Muster, nicht Basis!)

Herr Kollege Schieder! Verpflichtung der Österreicher im Moskauer Memorandum, auf Druck der Sowjetunion. Neutralität als Mittel zum Zweck, die Unabhängigkeit zu erlangen. Selbstverständlich! Das ist auch der große historische Wert der Neutralität.

Herr Kollege Schieder! Sie wissen ganz genau, daß wir die Bedingungen der Neutralität nach Schweizer Muster, und zwar so, wie sie die Schweiz noch 1954 definiert hat, nämlich als politische Neutralität, als wirtschaftliche Neutralität und als militärische Neutralität, nie eingehalten haben, weil wir sie nicht einhalten wollten. Sie ist 1955 eben nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Erlangung der Unabhängigkeit gewesen. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Tun Sie heute nicht so, als wäre die Neutralität ein Teil unserer Identität! Das ist erst in den siebziger Jahren so dargestellt worden, und zwar aus parteipolitischen Gründen.

Meine Damen und Herren! Wir haben uns nie auf die Sicherheitsgarantie der Neutralität verlassen, und sie hätte uns auch keine Sicherheit geben können. Die Durchmarschpläne des Warschauer Paktes durch Österreich im Ernstfall liegen ja heute klar auf dem Tisch. Und es stimmt auch nicht, daß wir uns unter dem Schutzschirm der NATO befunden haben. Die NATO hätte Österreich in einem Ernstfall nicht verteidigt – auch das steht heute fest –, sondern die NATO hätte sich selbst verteidigt, und zwar in Österreich. Die Enns – auch das wissen Sie, Herr Bundesminister – wäre die Hauptkampflinie zwischen NATO und dem Warschauer Pakt gewesen. Großartiges Verdienst Ihrer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in den letzten vier Jahrzehnten!

Man muß doch zumindest heute anerkennen, daß die Neutralität, auch wenn sie in den letzten 40 Jahren eine wichtige Funktion gehabt hat, auf die Fragen der Zukunft keine Antwort mehr geben kann, sondern daß neue Instrumente zum Tragen kommen müssen. Ich sage noch einmal ganz klar unseren Standpunkt: Wir Freiheitlichen sind für die Integration Österreichs in alle vorhandenen Sicherheitsbündnisse, selbstverständlich auch in jene, in denen wir noch nicht Mitglied sind, wie etwa in der Westeuropäischen Union oder in der NATO, um erstens vollberechtigt und gleichberechtigt am Aufbau dieser Sicherheitsorganisationen teilnehmen und um zweitens dauerhaft die eigene Sicherheit für die Zukunft gewährleisten zu können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Sie haben gerade durch das Nichtentscheiden in der Sicherheitspolitik massive Probleme im Bereich der Landesverteidigung, denn von dieser Grundsatzentscheidung ist ja auch die neue Heeresstruktur abhängig. Sie wissen ganz genau, daß das Bundesheer derzeit nicht einsatzfähig ist, daß wir im Bereich der Landesverteidigung große Probleme haben. Wir haben in Österreich zu wenig Grundwehrdiener und veraltetes Gerät, und Sie, Herr Bundesminister, haben in Ihrer Verantwortung als angeblich am längsten dienender Verteidigungsminister Europas ein völlig unzureichendes Budget. In Ihren eigenen Ausarbeitungen, Herr Verteidigungsminister, wird festgehalten, daß wir mit unserem mechanisierten Gerät nicht in der Lage sind, gefechtsmäßig eine Abwehr zu leisten.

Sie schreiben in Ihren eigenen Papieren, Herr Verteidigungsminister, daß die Soldaten, die Grundwehrdiener der mechanisierten Truppe, im Ernstfall eine minimale Überlebenschance haben. Eine minimale Überlebenschance! Doch Sie sagen hier bei jeder parlamentarischen Debatte, es sei alles in Ordnung, es gebe keine Probleme.

Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten und von der Volkspartei! Wir tragen dafür die Verantwortung als Volksvertreter. Wir haben in Österreich nach wie vor die allgemeine Wehrpflicht. Wir als Volksvertreter haben dafür zu sorgen, daß jene jungen Österreicher, die sich mit dem Eid verpflichten, die Republik mit der Waffe zu verteidigen, auch die Überlebens


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite