Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 104. Sitzung / Seite 193

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Das zeigt sich aber auch im "kleineren" Bereich: Derzeit gibt es die sogenannte Bagatellgrenze, unter der es praktisch keine Berufungsmöglichkeit gibt, wenn man von Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung absieht. Aber dort, wo es in der Regel darauf ankommt – Beweiswürdigung und ähnliche Dinge –, gibt es nichts mehr, ist es jetzt schon so, daß man bedauerlicherweise häufig beobachten muß, daß dann, wenn der Streitwert unter der Bagatellgrenze liegt, der Richter oft den Eindruck hat: Da muß ich mich nicht sehr anstrengen, denn es gibt keine Möglichkeit, irgend etwas gegen das Urteil zu machen. – Da hebt man das gleich auf 26 000 S an! 26 000 S sind für einen armen Teufel, der um so wenig Geld prozessieren muß, schon sehr viel. Er hat in Zukunft überhaupt keine Rechtsmittelmöglichkeit, keine praktische Rechtsmittelmöglichkeit mehr, denn daß bei solchen Dingen wirklich Nichtigkeit oder unrichtige rechtliche Beurteilung zum Tragen käme, ist äußerst selten der Fall und außerordentlich unwahrscheinlich.

Wer glaubt, wenn man eingebaut hat, daß es in Zukunft anstelle der derzeit doch recht gut funktionierenden außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof einen Antrag geben soll, wenn das Urteil "negativ" ist, daß sich nämlich derjenige, der verloren hat, noch einmal an ein und denselben Richter wendet und versucht, ihm sozusagen ins Gewissen zu reden: Überlege es dir doch noch einmal; ich bringe dir noch Argumente, ich will dich noch umstimmen; wer also glaubt, daß das irgendeine praktische Bedeutung hätte, hat das Rechtsleben von innen noch nicht beobachtet.

Wenn ich heute in einem Zivilverfahren verspielt habe, ich die schriftliche Urteilsausfertigung bekomme und anschließend den Antrag an ein und denselben Richter stelle – also ein nicht aufsteigendes Rechtsmittel –, es sich doch noch einmal zu überlegen, dann wird das je nach Temperament des Richters Heiterkeit oder äußersten Unwillen hervorrufen ob der Vermessenheit, ihm zu unterstellen, daß er sich geirrt haben könnte.

Alles in allem geht es um eine Entlastung von einigen wenigen Mitarbeitern im Justizbereich, aber unter Inkaufnahme einer ganz massiven Verschlechterung der Einzelfallgerechtigkeit. Das ist kein parteipolitisches Problem, sondern das kann sich doch in Wahrheit in diesem Staat niemand wünschen, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sozusagen in einem Aufwaschen wird auch gleich – wenn auch nicht wirklich ausnahmslos, aber praktisch schon – die mündliche Berufungsverhandlung in Zivilsachen abgeschafft: unter der Vorgabe, daß die Anwälte in diesen Verhandlungen ohnehin so wenig geredet hätten, sodaß man das gleich ganz abschaffen könne. – Dabei wird völlig übersehen, daß von den jeweiligen Senatsvorsitzenden immer deutlich darauf hingewiesen wurde, daß ja ohnehin alle aus dem Senat den Akt so genau kennen und ihn studiert haben, daß man doch wirklich nicht noch etwas vorzutragen braucht. Aber wenn man jetzt nach der praktischen Abschaffung der ersten Tagsatzung auch an die Abschaffung der mündlichen Berufungsverhandlung in Zivilsachen geht, bedeutet das, daß man sich von dem Weg abwendet, der aus dem Mittelalter der Rechtspflege in die Neuzeit geführt hat, als Ende des vergangenen Jahrhunderts der damalige Justizminister Klein das Aktenverfahren der alten Zeiten abgeschafft und die Mündlichkeit eingeführt hat.

Meine Damen und Herren! Man könnte sich mit diesem starken Konvolut (der Redner blättert in seinen Unterlagen) von Seite zu Seite in ähnlichem Stil befassen. Ich persönlich möchte es dabei bewenden lassen, zu sagen: Wir dürfen diesen Weg nicht beschreiten. Es ist nicht gut, daß wir im Begriffe sind, es zu tun, aber wir dürfen es nicht weiter so halten, daß wir nämlich dann, wenn Mitarbeiter der Justiz den Eindruck haben, überlastet zu sein – weil sie es glauben oder es wirklich so ist –, uns nicht bemühen, innerhalb der Justiz Abhilfe zu schaffen, sondern einfach die Instanzenmöglichkeiten kürzen und damit die Einzelfallgerechtigkeit reduzieren. Das ist ein Weg, über den ich wirklich traurig bin. Und ich sehe das gar nicht politisch, aber: Wir müssen uns alle miteinander gegen solche Tendenzen wenden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.41

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Fuhrmann. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte.


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