Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 106. Sitzung / Seite 195

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Ich möchte Ihnen jetzt – bei aller professoralen Überheblichkeit, zu der Sie neigen – folgendes sagen: Es gibt lediglich zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist: Sie haben den Artikel gelesen und nicht verstanden. Die zweite Möglichkeit ist: Sie haben ihn gelesen und verstanden, aber bewußt uminterpretiert! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.21

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Brinek. – Bitte sehr.

21.21

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Natürlich ist man geneigt, noch eine Anmerkung zum Thema "Latein: Kulturfach, ja oder nein?" zu machen.

Ich möchte mit Frau Kollegin Schaffenrath anfangen und ihr einige Sätze sagen. – Sie sind ein Beispiel für ein intendiertes Mißverständnis: Niemals war von der Pflicht, in Latein zu maturieren, die Rede. Frau Kollegin Gredler hat ihren Antrag noch einmal interpretiert und, wenn ich sie richtig verstanden habe, gesagt, daß es darum gehe, zu erheben – die Unis beziehungsweise der Herr Minister sollten das –, welche Voraussetzungen denn die Schüler von der Schule für das jeweilige Studium mitzubringen haben. – Das ist doch ein seltsames Verständnis von Autonomie der Institutionen, wenn jetzt die Universitäten sagen, welche Lehrplaninhalte an den höheren Schulen gelehrt werden sollen!

Sie hat weiters gesagt, daß auf die besonderen Bedürfnisse des Latein-, Medizin-, Technik- oder sonstigen Studenten Rücksicht zu nehmen sei. Das heißt, daß in Wirklichkeit auch noch spezifische Lehrangebote ganz individueller Art zu entwickeln seien. Meine Damen und Herren! Damit verabschieden wir uns von allgemeinen, transparenten, demokratisch ermittelten Standards im Schulwesen in Richtung einer totalen Individualisierung beziehungsweise – wie ich sogar sagen möchte – Atomisierung des Bildungswesens und seiner Inhalte. (Abg. Dr. Niederwieser: Da sieht man, zu welchen Mißverständnissen Latein führt!) So kann es wohl nicht gehen! Ich bitte darum, dieses Mißverständnis doch aufzuklären! (Zwischenruf der Abg. Schaffenrath. )

Ich glaube, daß Sie – und andere hier auch – noch etwas vermischen. Ich will mich jetzt der Darstellung meiner persönlichen Erfahrungen enthalten. Man kann manchmal auch seiner eigenen Biographie erliegen, Frau Dr. Gredler, und es tut gut, einen Schritt zurückzutreten und die Dinge zu reflektieren. Wie sieht denn unsere abendländische Tradition aus? Das wird man doch allen Ernstes noch aufrechten Ganges aussprechen dürfen! – Einerseits stellen wir unsere Kultur ins Museum und bedauern ihr Verschwinden. Wir könnten aber dieses sogenannte "tote Fach" Latein auch sehr lebendig machen und es nicht – wie es vielfach Praxis ist – als Schikanefach für durchsetzungsschwache Lehrer oder als Sklavenfach für Schüler, die Naturwissenschaft und Sprachen studieren wollen, mißbrauchen. Denn nicht die Zubringerfunktion macht die Qualität aus, sondern der eigene Bildungssinn! Und ich bin sehr dafür, daß wir uns von der amerikanischen, global Mc-Donaldisierten Kultur und von der Dominanz des ökonomischen Diskurses ein bißchen distanzieren und uns europäisch selbstbewußt definieren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.) Das stünde uns allen sehr gut an! – Soviel dazu. (Abg. Dr. Khol: Das versteht der Bürger!)

Frau Kollegin Gredler! Ich meine, daß wir uns von der von Ihnen zitierten und geschmähten abendländischen Rationalität und Theoriekompetenz nicht verabschieden sollen! Denn die neue abendländische Esoterik als Schwundstufe einer abendländischen klassischen Metaphysik ist viel gefährlicher als Theorieverliebtheit!

Nun zu einem anderen Thema, weil wir noch einige Vorlagen zu behandeln haben. Es ist erfreulich, daß sich der Herr Bundesminister mit dem Nachdenken über die Evaluierung – schon wieder so ein lateinisches Wort! – der Frauenfördermaßnahmen beschäftigt. Das steht uns gut an! Meine Damen und Herren! Dabei soll aber der Fokus nicht nur auf diese wichtige Spezialfrage gerichtet werden, sondern auf die Qualität der Universität insgesamt. Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Nun wissen wir: Die Verankerung autonomer Strukturen im Organisationsrecht und Studienrecht und das Alleinlassen der Universitäten bringen keine bessere Qualität. In diesem Zusammenhang besteht auch die Notwendigkeit systemtheoreti


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