Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 84

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Als folgenschwerstes Beispiel dieser strukturkonservativen Sozial- und Wirtschaftspolitik und der daraus resultierenden systematischen Fehlkonzeptionen ist die Art und Weise zu bezeichnen, wie die Koalitionsregierung versucht, die bestehenden Einrichtungen des Sozialversicherungswesens möglichst unreformiert zu lassen und trotzdem alle Erwerbseinkommen der Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen. Statt sich auf den Wesenskern der Pflichtversicherung zu konzentrieren, beharrt die Koalition darauf, alle irgendwie erfaßbaren Menschen – koste es, was es wolle – in eine der bestehenden Sozialversicherungen hineinzuzwingen. Innerhalb der letzten beiden Jahre waren nicht weniger als vier Reparaturversuche – nicht zuletzt aufgrund einer Teilaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof – notwendig, um die von Opposition und Fachwelt von Beginn an geäußerten schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich Gleichheitswidrigkeit und die unbrauchbare rechtliche Umsetzung wenigstens teilweise zu reparieren.

A) Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich Gleichheitswidrigkeit, Vertrauensschutz und Eigentumsgarantie

Mit der jüngsten Novellierung, die am 1. Jänner 1998 in Kraft getreten ist, hat die Regierung einen Entwurf vorgelegt, der erstmals nach dem Scheitern der Werkvertragsregelung eine gewisse systematische Konsequenz zu verfolgen sucht. So erfolgt die Einbeziehung der nicht gewerblich Selbständigen, annäherungsweise mit dem vormals ,dienstnehmerähnlichen Werkvertrag‘ analog zu setzen, nun in das GSVG. Trotzdem fehlt auch in der jetzt geltenden Fassung jedes Element, das eine zukunftsorientierte Lösung auch nur andeutete, und es werden jene alten Fehler wiederholt, die bereits einmal zur Verfassungswidrigkeit der Werkvertragsregelung geführt haben:

Verfassungswidrigkeiten hinsichtlich der Bestimmungen über die Versicherungspflicht:

Eine angestellte (ASVG-pflichtige) Sekretärin, die nebenbei selbständig Schreibarbeiten durchführt, ist bereits ab einem zusätzlichen Monatsverdienst von 3 830 S nochmals, und zwar im GSVG, sozialversicherungspflichtig; arbeitet jedoch dieselbe Person ausschließlich selbständig für Schreibtätigkeiten, hat sie erst ab 7 400 S Sozialversicherung (GSVG) zu zahlen.

Im Bereich der ,neuen Selbständigen‘ (§ 2 Abs. 4 GSVG) gelten drei (!) verschiedene Grenzbeträge für die Sozialversicherungspflichtigkeit:

1. Bei einer ausschließlich ,neuen‘ selbständigen Tätigkeit gibt es eine Geringfügigkeitsgrenze von 7 400 S monatlich, welche gleichzeitig den Charakter einer Mindestbeitragsgrundlage hat (,Opting in‘).

2. Wenn eine Neue Selbständigkeit neben ein Dienstverhältnis (ASVG oder Beamte) hinzutritt, beträgt die Geringfügigkeitsgrenze 3 830 S.

3. Bei Einkommen aus gewerblicher Tätigkeit plus einer ,neuen‘ selbständigen Beschäftigung beträgt die Mindestbeitragsgrundlage 13 761 S.

Solche Bestimmungen sind weder in sich schlüssig noch entsprechen sie dem Gleichheitsgrundsatz.

Verfassungswidrigkeiten hinsichtlich der Beitragshöhe:

Jene selbständigen Gruppen, die auch nach der letzten Novellierung im ASVG verblieben sind (ab 1.1.2000 bloß bereits tätige Hebammen, Musiker, Lehrer et cetera), haben in der Pensionsversicherung den vollen Beitragssatz von 22,8 Prozent zu entrichten, die ,alten‘ Selbständigen einen Beitragssatz von 14,5 Prozent und die ,neuen‘ Selbständigen von 15 Prozent (wobei dieser Satz in den kommenden Jahren schrittweise auf 20,25 Prozent angehoben wird!). Die Freiberufler (FSVG-Versicherte) schließlich haben in ihrer Pensionsversicherung eine Beitragslast von weiterhin 20 Prozent zu tragen. Obwohl die Belastung für Freiberufler und neue Selbständige deutlich höher ausfallen dürfte, unterstützt der Bund nur die ,alten‘ Selbständigen (traditionell gewerblich Selbständige) aus dem Steuertopf durch eine Verdopplung des Beitragsvolu


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