Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 119

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bitte jetzt die Frau Abgeordnete Frieser – statt mir – noch eine Minute reden! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.10

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Van der Bellen. – Bitte.

17.10

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In aller Kürze: Wie die Rechtslage bei diesen echten Werkverträgen, unechten Werkverträgen, freien Dienstverträgen, ziemlich freien Dienstverträgen, weniger freien Dienstverträgen, den neuen Selbständigen, den nicht mehr so neuen Selbständigen, wie den Kolporteuren, nun wirklich ist, also ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. (Abg. Haigermoser: Aber die Frau Minister weiß es auch nicht!) Es würde mich freuen, wenn sich wenigstens die Frau Bundesminister auskennen würde. Ich kenne mich dabei nicht aus. Das wäre ja nicht so schlimm; kenne ich mich eben nicht aus. Der Vorteil einer Marktwirtschaft ist es ja, daß sie auf Arbeitsteilung beruht. Ich verstehe auch von Chemie und Physik nichts. Ich muß auch nichts vom Sozialversicherungsrecht verstehen.

Meine Damen und Herren! Nur: Das Liberale Forum listet eine ganze Reihe von Fällen auf, bei denen sich offensichtlich niemand mehr auskennt: Juristen nicht, Steuerberater nicht, Wirtschaftsprüfer nicht, Sozialversicherungsrechtsexperten nicht. Und das ist schon etwas anderes. Da geht es nicht um meine Unkenntnis, sondern da wurde eine Grenze des Rechtsstaates eindeutig überschritten. So geht das nicht!

Ich lese Ihnen jetzt kurz einen Satz vor, der die Materie meines Erachtens recht gut charakterisiert: Nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksportaufgaben kann überhaupt verstanden werden, welche Anordnungen hier getroffen werden sollen. (Abg. Haigermoser: Vielleicht ist die Frau Minister die Kreuzworträtselkönigin!)

Das ist ein berühmtes Zitat. Die Verfassungsjuristen hier im Hause wissen schon, woher es stammt. Das war die Begründung des Verfassungsgerichtshofes, gewisse Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts – in diesem Fall der Notstandshilfe, glaube ich – aufzuheben. (Abg. Haigermoser: Aber der Herr Kostelka versteht das schon!) Das war das Erkenntnis vom 29. Juni 1990 mit der Überschrift: Aufhebung von Paragraph Sowieso wegen Fehlens eines unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderlichen Mindestmaßes an Verständlichkeit. (Präsident Dr. Fischer: Das gilt auch manchmal für die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes!)

Das gilt vielleicht manchmal auch für die Erkenntnisse, Herr Präsident! Diese Diskussionen überlasse ich – nein, nicht immer – den Juristen. Da gebe ich Ihnen recht. Das letzte Erkenntnis über die Familienbesteuerung ist zum Beispiel zumindest in seiner Begründung methodisch schwer nachvollziehbar – das muß ich schon sagen –, also zumindest für mich nicht nachvollziehbar. (Abg. Dr. Kier: Sehr höflich!) Ich bin ein höflicher Mensch und drücke mich eben entsprechend aus.

Also kurz gesagt: Ich glaube nicht, daß man bei dieser Materie mit "subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer Lust zum Lösen von Denksportaufgaben" überhaupt auskommt. Ich meine, es braucht weit mehr als das. Mit anderen Worten: Es ist sicher, daß eine ganze Reihe dieser Bestimmungen vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden. Herr Kaufmann hat das in erfreulicher Offenheit vorhin hier am Rednerpult angedeutet, wenn auch nicht klar gesagt.

Das wird kommen, aber bis dahin werden die Regierungsparteien Hunderte von Arbeitsplätzen gesichert haben. Aber welche Arbeitsplätze? – Die von Juristen, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und anderen Experten auf diesem Gebiet. Das kann doch wohl nicht die Art von Arbeitsmarktpolitik sein, die Sie heute vormittag angesprochen haben. Diese Art von Politik, meine


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