Köck, ein Wiener Arzt und Harvard-Professor, den Sie, glaube ich, sehr gut kennen, hält das heimische Gesundheitssystem für mit Abstand am reformunwilligsten.
Meine Damen und Herren! Das 20. Jahrhundert hat dramatische Veränderungen in der demographischen Entwicklung der Industrieländer mit sich gebracht. Die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens stieg im Zeitraum von 1902 bis 1994 von 40,6 Jahre auf 73,3 Jahre. Das ist eine Erhöhung um 85 Prozent! Die Anzahl der Krankenhaustage bei einem 70jährigen beträgt rund das Siebenfache der eines 20jährigen. Infektionskrankheiten werden zurückgedrängt, die Zahl chronisch degenerativer Erkrankungen, die kostenaufwendig sind, nimmt zu. Die moderne Technologie erkennt Krankheiten wesentlich früher. Sie sind also auch wesentlich früher behandlungsbedürftig. – Welche Maßnahmen wurden gesetzt, und wie wurde auf diese Entwicklungen reagiert?
Meine Damen und Herren! Das gesamte österreichische Gesundheitssystem ist derzeit durch einen Reformstau lahmgelegt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)
Das neue Finanzierungssystem führt zu einer weiteren hohen Spitalslastigkeit, zu einer Erhöhung der Wiederaufnahmerate, zu überbordendem Bürokratismus und damit wieder zu einem Qualitätsverlust in der Behandlung der Patienten, weil die Ärzte keine Zeit mehr haben.
Die eigene Fraktion hat Sie gefragt, Frau Ministerin, wie das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird, und Sie selbst haben darauf geantwortet: In über 50 Prozent der Fälle hat das Arbeitsinspektorat festgestellt, daß es nicht eingehalten wird. Das heißt, die Dienstgeber scheuen die Kosten, die Dienstgeber haben kein Interesse.
Wie schaut es im niedergelassenen Bereich aus? – Im niedergelassenen Bereich führen die Sozialversicherungen einen stetigen und ständigen Kampf gegen ihre eigenen Vertragsärzte. Warum? – Um ihr Monopol aufrechtzuerhalten. Sie nehmen die sozial-medizinische Verantwortung, die sie in Wirklichkeit haben, nicht mehr wahr.
Wozu kommt es? – Es kommt zum Rückschritt beim Mutter-Kind-Paß, zu keinem Vertrag über die Hauskrankenbehandlung, zu keinem Fortschritt in der Kassenmedizin. Es kommt aber zur Ausweitung der Kassenambulatorien. Es werden keine neuen Kassenärzte eingestellt, es gibt keine Gruppenpraxen, keine Anstellung von Ärzten im Kassenbereich, und all das führt zu einer Gefährdung der Hauskrankenpflege. Es wird ein neues Impfgesetz beschlossen, aber der Impfstoff ist in den meisten Bundesländern nicht lieferbar. Es gibt nach wie vor keine tatsächlichen Vorsorgeuntersuchungen und keine Vorsorge bei Hepatitis C.
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin! Ich bin seit 20 Jahren Ärztin. Die Diskreditierung meines Berufsstandes, wie sie derzeit erfolgt – er wird als kostenverursachend, geldgierig und verantwortungslos hingestellt –, hat ein Ausmaß erreicht, das ich einfach nicht mehr tolerieren kann und das auch nicht mehr tolerierbar ist, und zwar nicht nur von uns Ärzten, sondern auch von den Patienten, zu denen wir nach wie vor ein sehr gutes Vertrauensverhältnis haben. Sie werden mit dieser Politik nicht nur jene 36 000 Ärzte, die es in Österreich gibt, sondern auch die Patienten und alle in den Gesundheitsberufen Tätigen als Wähler verlieren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)
Hören Sie bitte endlich mit diesen falschen Versprechungen auf! Im NAP, Frau Ministerin, sind bis zur Jahrtausendwende für den Gesundheits- und Pflegebereich 28 000 neue Jobs vorgesehen. Jetzt sagt Ihr eigener Stadtrat, Sepp Rieder, es sei unrealistisch, von zigtausend neuen Posten zu reden, solange man an der Deckelung der Gesundheitskosten festhalten will. Er selbst führt diese Maßnahme ad absurdum. Setzen Sie doch endlich an die Stelle der ständig verschleierten Rationalisierung – die Kassen zahlen nur mehr 30 Prozent der Leistungen, die im gesamten Gesundheitssystem angeboten werden – einen ehrlichen, diskutierten gesundheitspolitischen Prioritätenkatalog, aus dem hervorgeht, welche Leistungen wir uns im Gesundheitssystem in diesem Land selbst bezahlen wollen und welche wir bereit sind zu finanzieren! Schaffen Sie endlich einen Topf für sämtliche öffentliche Gesundheitsleistungen! Wir haben neun Länder und 28 Kassen. Das einzige, was diese tatsächlich im Sinne haben, ist, zu schauen, wie es für sie am billigsten und am billigsten zu finanzieren ist.