Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 123. Sitzung / Seite 95

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Eine Verlesung der Dringlichen Anfrage ist nicht erforderlich, weil sie schriftlich verteilt wurde.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

"Mochovce zeigt auf drastische Weise, wie tief Österreichs Anti-Atompolitik in der Krise steckt. Wenige Tage vor der geplanten Aktivierung der Brennelemente, also dem ersten Schritt zur Inbetriebnahme des Reaktorblockes I bricht, unter Assistenz engagierter Medien, in den Reihen der Bundesregierung Hektik aus. Diese erfahrungsgemäß temporären Maßnahmen sind als Feuerwehraktion einzuschätzen, und Inhalt, Vorgangsweise und Umfang der Aktivitäten lassen gravierende Defizite erkennen, und erfordern gerade in dieser Situation eine kritische Analyse sowie rasche Konsequenzen.

Daß Mochovce etwa zu diesem Zeitpunkt in Betrieb genommen werden soll, ist seit dem Einstieg des deutsch-französischen Firmenkonsortiums Siemens/Framatome in die Fertigstellung bekannt. Daß die Aktivierung eher überstürzt noch vor den Parlamentswahlen in der Slowakei erfolgen soll, ist zumindest seit einigen Monaten bekannt. Als die Grünen am 16. April darauf aufmerksam machten, daß laut Anfragebeantwortung aus dem deutschen Bundestag mit einer Netzschaltung noch im Juni zu rechnen sei, war die empörte Reaktion von Ministerin Prammer – in Richtung der Grünen –, daß es sich dabei nachweislich um einen Druckfehler handle.

Aber das Projekt Mochovce und der Widerstand dagegen haben eine längere Geschichte. Immer wieder – speziell vor Wahlen – wurden von der Bundesregierung teils plakative Aktivitäten eingeleitet. Der Höhepunkt der österreichischen Kritik am Reaktorprojekt wurde 1994/95 erreicht, als 1,2 Millionen ÖsterreicherInnen im Rahmen der damals geplanten Kreditvergabe durch die EBRD/EIB Einwendungen erhoben. Politisches Lobbying in Brüssel, Straßburg und London wurde betrieben, mit dem Ergebnis, daß sowohl EU als auch EBRD von einer Finanzierung der Fertigstellung Abstand nahmen. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu einer Wende. Die damaligen grundsätzlichen inhaltlichen Argumente gegen Mochovce sind scheinbar in Vergessenheit geraten, ein politisches Maßnahmenkonzept, wie auch im Sinne der Parlamentsbeschlüsse Richtung gesamteuropäischer Finanzierung eines Ersatzprojektes vorgegangen werden hätte können, wurde nicht erstellt.

Noch 1994 war die offizielle Position der Bundesregierung zum Reaktortyp WWER 440, daß dieser aus technischen Gründen und unter wirtschaftlichen Aspekten nicht nachrüstbar sei, also abgelehnt wird. Im Bericht zum ,Walkdown 1‘ der internationalen Expertenkommission, der der Bundesregierung seit November 1995 vorliegt, und August 1997 veröffentlicht wurde, heißt es völlig eindeutig in der Zusammenfassung, Seite 9: ,Auch wenn man einige notwendige Anpassungen und Sicherheitsverbesserungen in Betracht zieht, wird aufgrund dieses Designs das AKW Mochovce den westlichen Standards nicht genügen. Es würde auch nicht den jüngsten russischen Vorschriften genügen.‘ Im Kapitel I, I-25 heißt es: ,Es wäre ökonomisch sinnvoll, das existierende Kraftwerk zu verschrotten und stattdessen ein neues Kraftwerk mit verbessertem Design zu bauen: sowohl vom Standpunkt der Betriebsverläßlichkeit als auch aus Sicherheitsgründen.‘ Auch wurden das fehlende – im nachhinein nicht mehr errichtbare – Containment, die Abwesenheit der russischen Hauptkonstrukteure unter anderem als Argumente für eine generelle Ablehnung des Reaktors hergenommen. Der Sicherheitsstandard und damit das Gefährdungspotential für Österreich galt grundsätzlich als inakzeptabel.

Mit dieser Position wurde mehrmals gebrochen. Mittlerweile führt Österreich eine Diskussion über Änderungsmaßnahmen am Reaktordruckbehälter, die, selbst wenn sie durchgeführt würden, nicht die seinerzeit grundsätzlich angeführten Sicherheitsdefizite betreffen oder gar abändern würden. Aus von den Grünen vorgelegten internen jährlichen Prüfberichten geht zudem hervor, daß sogar die slowakische Atombehörde in Mochovce gravierende Sicherheitsmängel attestiert. Über Jahre kam es zu groben Mängeln bei Qualitätskontrolle, beim Einbau relevanter AKW-Komponenten und bei Schweißnähten. Unzählige versteckte, unbehebbare Risikoquellen


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