Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 133. Sitzung / Seite 40

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12.28

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Hohes Haus! Eine Woche nach der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Österreich – das Land Österreich hat ja die EU-Ratspräsidentschaft inne – liegt es natürlich nahe, als das wichtigste Thema dieser außenpolitischen Erklärung die europäische Dimension anzusprechen. Dabei muß offen ausgesprochen werden, daß Europa ein unvollkommenes und noch unvollständiges Projekt ist, aber eines, das sich auf gutem Wege befindet. Von Jean Monnet und Robert Schuman stammt der Ausspruch, daß Europa nicht mit einem Schlag oder durch einen einheitlichen Bauvorgang geschaffen werden kann, sondern nur durch konkrete Errungenschaften, die mit der Zeit eine faktische Solidarität entstehen lassen. Anders gesagt ist dieses gemeinsame Europa eine Art Baustelle, ein Großbauvorhaben, auf der schon über vierzig Jahre gearbeitet wird und auf der es noch sehr viel zu tun gibt.

Allerdings ist das, was bisher geschaffen wurde, beachtlich genug. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Sechser-Gemeinschaft des Jahres 1958, hat mit 6 Mitgliedern begonnen, hat heute 18 und verhandelt mit weiteren 11 Ländern. Sie hat mit einer Bevölkerungszahl von 160 Millionen Menschen begonnen, ist heute auf eine solche von über 370 Millionen Menschen angewachsen und nähert sich mit den Erweiterungskandidaten der Grenze von 500 Millionen Menschen.

Die heutige Europäische Union weist eine Wirtschaftskraft, ein Bruttoinlandsprodukt auf, das real sechsmal so groß ist wie jenes der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1958.

Meine Damen und Herren! Dieses Projekt ist ein sehr erfolgreiches Projekt, wie man anhand der wirtschaftlichen Erfolgszahlen feststellen kann. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Smolle. )

Die Europäische Union ist heute tatsächlich ein global player, ein weltweit Agierender auf der Weltbühne: Die EU hat den größten Binnenmarkt der Welt zustande gebracht. Mit Beginn 1999 steht die gemeinsame Währungsunion. Die Europäische Union von heute zeichnet für ein Drittel des Welthandels verantwortlich; das ist mehr als der Anteil der Amerikaner und auch mehr als der Anteil der Japaner.

Interessant ist auch die Gestaltungskraft innerhalb der Union. Immerhin werden innerhalb der Union über 60 Prozent der Gesamtexporte der EU-Staaten ausgewiesen, was bedeutet, daß wir selbst eigentlich auch die Konjunktur bereits gestalten können.

Man sieht, daß die Europäische Union auch im humanitären Bereich sehr viel macht: 60 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe und 80 Prozent der internationalen Hilfe für die Länder der ehemaligen Sowjetunion kommen von der Europäischen Union.

Aber eine andere Zahl, so wichtig Geld, Wirtschaft und Erfolgszahlen sein mögen, beziehungsweise eine andere Vergleichsbilanz ist viel eindrucksvoller: Nach Schätzungen von Sicherheitsexperten haben seit dem Jahr 1945 weltweit über 200 Kriege und größere bewaffnete Konflikte stattgefunden. Aber auf dem Gebiet der heutigen Europäischen Union gab es in diesen fast fünf Jahrzehnten seit der Gründung der Montanunion keinen einzigen Schuß, keinen einzigen Waffengang.

Für diese Region ist damit die längste ununterbrochene Friedensperiode seit der römischen Antike Wirklichkeit geworden. Manche zitieren immer wieder den Wiener Kongreß. Vom engsten Berater des Fürsten Metternich, sozusagen seinem Kabinettchef, einem gewissen Freiherr Friedrich von Gentz – genannt: graue Eminenz –, der die Protokolle geschrieben hat et cetera, stammt der Satz: "Jedes politische System, das Europa die Hoffnung geben könnte, sich auch nur drei oder vier Kriege in jedem Jahrhundert zu ersparen, verdient die höchste Anerkennung."

Heute gibt es dieses Friedenswerk, und Österreich trägt seit dem 1. Juli als Vorsitzland der Europäischen Union besondere Verantwortung für diese Union, für dieses Friedensprojekt. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)


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