Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 133. Sitzung / Seite 104

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Umgebung, die engste Umgebung hat weggeschaut, hat nicht gehandelt. Die Gesellschaft tut sich nichts Gutes, wenn sie sich in den Sack lügt.

Mit Angst und Bedrohung umgehen zu lernen, ist ein wesentlicher Aspekt unseres Sozialisationsprozesses. Wir sollten unsere Kinder nicht in einer angst- und bedrohungsfreien Situation aufwachsen lassen. Das wäre so, als ob Kinder 20 Jahre lang vom Meer ferngehalten und dann plötzlich ans Ufer geschickt würden. – So kann es nicht gehen! Unsere Kinder gehören Angst und Bedrohung kontrolliert ausgesetzt. Das war die fundierte Meinung des Medien-Psychologen Professor Vitouch.

Professor Friedrich führte seine Gedanken mit einem Bild aus: Solange ein Märchen im magisch-animistischen Denken verhaftet ist, solange sich das Kind an die erzählende Großmutter schmiegen kann, die Oma jedesmal nahezu wortidentisch das Märchen erzählt, und solange das Kind den glücklichen Ausgang immer wieder miterlebt, darf ein Angstzustand bestehen.

Mein "Rotkäppchen" sieht ganz anders aus als das Ihre. Die eigene Phantasie muß visualisiert werden. Die eigene Phantasie! Werden Szenen mit sexuellen Grausamkeiten aufgenommen, sind sie replizierbar, und in dieser Repetition sieht Professor Friedrich auch die große Gefahr. Buchseiten können ganz gezielt überblättert werden. In meiner Jugend liebte ich zum Beispiel Auguste Lechners Bücher. Aber an der Stelle, an der der berühmte schwarze Hengst im Treibsand rettungslos versank, blätterte ich jedesmal sofort drüber. Ja, darüber hinaus suchte ich die Seiten schon vorher heraus und überblätterte sie im Ganzen, in einem Schwung. Das geht mit Büchern – nicht in einem Film!

Aus den psychologischen Wissenschaften wissen wir: Wenn sich etwas in den subkortikalen Bereich, also ins Unbewußte, verlagert hat, dann taucht es aus diesem Bereich verwandelt, markiert immer wieder auf. Die Repetition zerstört unsere Phantasie! Unser wichtigstes Sexualorgan ist der Kopf! Der Film zerstört unsere Phantasie – zumindest dann, wenn Sexualität auf Genitalität und der Inhalt auf Brutalität reduziert wird.

Zurück zum Erlernen von Angstbewältigungsstrategien und zum Starkmachen unserer Kinder: Kinder müssen abgesichert, unterstützt und gefördert werden. Wir haben dazu zwei Projekte, die viel zuwenig bekannt sind.

Das erste ist ein Projekt für Sexualerziehung: "Miteinander reden, voneinander lernen": Speziell geschulte Sexualtherapeuten bauen mit Schülern, Eltern und Lehrern ein gezieltes Stärkungsprogramm für unsere Youngsters auf. Alle sind gleichsam begeistert, gezielte Antworten auf Fragen ohne Ende zu bekommen. Die Sprachlosigkeit wird damit endgültig ausgeräumt.

Das zweite Projekt, das "Green-Potato-Jugend-Projekt", dient der Stärkung des Selbstbewußtseins, der Erweiterung und Vertiefung sozialer Kompetenzen, der spielerischen Vermittlung psychologischen Wissens und einer sanften Art der Selbsterfahrung, um Konfliktsituationen begegnen zu können – und um stark zu sein, wenn es gilt, dieses bewußte "Nein!" auszusprechen. Es sind Hilfestellungen auf dem schwierigen Weg zum Erwachsenwerden.

Ich begann mit Konrad Lorenz und möchte mit seinem Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt enden: Wir Menschen sind Generalisten, hochbegabte Kulturwesen und fähig, über Zielsetzungen, zukunftsorientierte weitere Entwicklungen mitzubestimmen, also rechtzeitig aus Fehlern zu lernen und dementsprechend unseren Kurs zu korrigieren. Wir sollten uns bei der Entwicklung eines generationenübergreifenden Überlebensethos mehr von unseren prosozial fürsorglichen Beweggründen als von unserem repressiven Dominanzstreben leiten lassen.

Außenminister und Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel hat heute mittag in aller Deutlichkeit gesagt, daß es gilt, dieses Thema auch in der UNO anzusprechen.

Bei meinem Schlußwort möchte ich noch Papst Johannes Paul II. bemühen, der sagte: "Ich möchte für diejenigen meine Stimme erheben, die selbst zuwenig haben."


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