Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 133. Sitzung / Seite 119

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Es ist wahr, aber ich muß jetzt nicht wiederholen, was Maria Schaffenrath gesagt hat: Wir haben unsere Position weiterentwickelt, und ich halte es auch für konsequenter, zu sagen, daß der Ethikunterricht ein Pflichtgegenstand sein soll und Religion als Freifach angeboten werden soll. Ich weiß, da können Sie nicht mit. Aber deswegen haben wir unseren alten Antrag jetzt zur Diskussion gestellt.

An die Kollegen der SPÖ, vor allem an Kollegen Antoni gerichtet: Ich verstehe Ihre Argumentation nicht. Sie sagen, Sie stimmen dem Antrag nicht zu, weil Sie den Ethikunterricht einzig auf Freiwilligkeit beruhen lassen wollen. Zugleich aber nehmen Sie in Kauf, daß Religion der Pflichtgegenstand ist. Jetzt frage ich Sie: Ist es Ihnen wirklich wichtiger, in einem Land, in dem man jedenfalls sagt, man habe sich der Trennung von Kirche und Staat verpflichtet, einen Pflichtgegenstand zu haben, der Glauben zu vermitteln hat – und das ist der Lehrplan des Religionsunterrichtes! –, bei dem es um Glaubensinhalte geht, als Menschen ethische Werte zu vermitteln? (Zwischenruf des Abg. Schieder. )  – Ja, aber das macht doch keinen Sinn.

Mir geht es jetzt darum, daß Sie den Zustand in Kauf nehmen beziehungsweise sich dafür stark machen, daß es den Pflichtgegenstand gibt, Glauben zu vermitteln, und daß Sie sich dagegen wehren, ethische Werte zum Pflichtgegenstand zu machen. Das verstehe ich einfach nicht. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Schieder. ) Ich verstehe es bei Ihnen schon gar nicht. Ich verstehe es aber ehrlich gestanden auch bei der ÖVP nicht. Damit will ich mich jetzt auseinandersetzen.

Aus diesen ethischen Werten (Abg. Dr. Leiner: Woher nehmen Sie diese Werte?)  – ich hoffe ja doch, daß Sie sich die Lehrpläne angeschaut haben – entsteht selbstverständlich, wenn jemand ein religiöses Gefühl hat, auch die Festigung seines religiösen Glaubens. (Abg. Dr. Leiner: Woher nehmen Sie ethische Werte?) Ist es denn eine staatliche Aufgabe, Glauben weiterzugeben? Ist das das Richtige, was Sie bewerten wollen? Wollen Sie wirklich diese Glaubensinhalte auf die gleiche Stufe stellen wie die Gesetze der Physik oder sonst irgend etwas und daher entsprechend bewerten? (Zwischenrufe des Abg. Schieder. )

Die Bildungsziele und Lehraufgaben des Religionsunterrichtes sind folgende: Der Religionsunterricht soll dem gläubigen Schüler helfen, sich bewußter für seinen Glauben zu entscheiden. Er soll dem Suchenden und im Glauben angefochtenen Schüler die Antworten der Kirche auf seine Fragen geben. – Meinen Sie nicht, daß es etwas ganz anderes ist, wenn man jungen Menschen keine fertige Antwort gibt, sondern wenn man sie sich mit dem Thema auseinandersetzen läßt, so wie es in diesen Lehrplänen vorgesehen ist? Im ersten Semester: der Mensch als Kulturwesen; zweites Semester: der Mensch als religiöses Wesen; drittes Semester: der Mensch als Individuum und als Sozialwesen; viertes Semester: der Mensch in Gesellschaft und Staat.

Glauben Sie nicht, daß es für die Persönlichkeitsbildung eine ganz andere Festigkeit bedeutet, wenn Sie jemandem die Auswahl der Antworten geben, nicht nur die von einer Kirche, sodaß er seine Werthaltung selbst entwickeln kann? – Sie beklagen in Ihrem Buch die Entsolidarisierung der Gesellschaft, die Orientierungslosigkeit; all das beklagen Sie nach jahrelangem Pflichtgegenstand Religion. Jetzt frage ich Sie wirklich: Woher nehmen Sie denn Ihre Argumentation? Wo ist denn die Logik, wenn trotz einer solchen Erziehung die Gesellschaft in diese Situation, wie Sie sie beschreiben, geschlittert ist?

Ich teile ja Ihr Bild dieser Gesellschaft nicht, aber auch ich orte, daß wir Entsolidarisierungstendenzen haben. Auch ich orte, daß die Menschen nicht bereit sind, für sich oder für andere Verantwortung zu übernehmen. (Abg. Haigermoser: Väterchen Frost statt Christkind!) Ich bin der festen Überzeugung, daß dies zu einem Teil darauf zurückzuführen ist, daß man in unserem Schulsystem den jungen Menschen nicht die Gelegenheit gibt, diese Werteskala selbst zu entwickeln.

Unsere feste Überzeugung – das ist nun einmal das liberale Menschenbild – ist, daß das, was man selbst entwickelt, das, wofür man erst selbst die Überzeugungen finden muß, weit tragfähiger und sicherer ist als etwas, das man als Packerl hingestellt bekommt, wofür man seine Note


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