Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 135. Sitzung / Seite 100

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gierten – schicken derzeit keine Asylsuchenden in die von Serben regierte Krisenregion Kosovo zurück (APA-Meldung vom 11.3.1998). UNHCR, Caritas, die Asylkoordination, Amnesty International und weitere Organisationen fordern mit Vehemenz, Kosovo-Albaner weder nach Ungarn noch nach Jugoslawien ab- oder zurückzuschieben.

Der UNHCR und Flüchtlingshilfsorganisationen haben schon vor Monaten festgestellt, daß sich die aus dem Kosovo notorisch bekannten Formen der Unterdrückung und der Menschenrechtsverletzungen – willkürliche Maßnahmen, Vorladungen, Kontrollen, Mißhandlungen und so weiter – insgesamt gehäuft und intensiviert haben, bedingt zum Teil durch die massiv gesteigerte Polizei- und Militärpräsenz. Aufgefallen ist weiters, daß auch die Übergriffe serbischer Zivilisten gegen Kosovo-Albaner stark zugenommen haben, die Opfer jedoch keinen staatlichen Schutz erwarten können.

Es ist daher zu begrüßen, daß laut Innenminister Mag. Schlögl vorerst keine Flüchtlinge aus dem Kosovo direkt nach Jugoslawien ab- beziehungsweise zurückgeschoben werden. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, daß laut Auskunft von Caritas-Betreuern zuständige Beamte erklärt haben, auch weiterhin die Ausstellung von Heimreisezertifikaten anzustreben und vorzubereiten.

Laut Innenministerium werden aber sehr wohl albanische Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Ungarn ab- beziehungsweise zurückgeschoben. Laut UNHCR kann Ungarn nicht als verfolgungssicher angesehen werden. Die Caritas und etliche Menschenrechtsorganisationen behaupten, daß es in Ungarn kaum Chancen auf ein faires Asylverfahren gibt und daß aus Österreich abgeschobene Kosovo-Flüchtlinge Gefahr laufen, von Ungarn unmittelbar nach Jugoslawien weitergeschoben zu werden. Amnesty International hat gestern einen dokumentierten Fall vorgelegt, der die umgehende Weiterschiebung von Kosovo-Albanern in den Verfolgerstaat durch Ungarn beweist und damit die Behauptung des Innenministeriums, eine Abschiebung aus Österreich nach Ungarn sei zulässig, weil Ungarn ein sicheres Drittland sei, als falsche Schutzbehauptung entlarvt. (APA-Meldung vom 7.7.1998).

Laut Amnesty International ist der Kosovo-Albaner I. I. im März dieses Jahres gemeinsam mit seiner Schwester und drei weiteren Kosovo-Albanern über Ungarn nach Österreich geflüchtet. Von einem Dolmetscher der Grenzbehörden hätte er erfahren, daß er keinen Asylantrag stellen könne. Zurück in Ungarn wurde ein Aufenthaltsverbot bis 2001 in seinen Paß gestempelt. In einer Kaserne in Györ wurden Daten und Fingerabdrücke aufgenommen. Noch am selben Tage sei er in Handschellen der serbischen Polizei übergeben worden. In einem Gedächtnisprotokoll, das Amnesty International vorliegt, berichtet I. von schweren Mißhandlungen seitens der jugoslawischen Behörden: ,Die drei (Polizisten) traktierten uns zuerst mit den Fäusten, danach schlugen sie uns mit Lederschläuchen, die mit Sand gefüllt waren. Ich wurde mehrmals bewußtlos, sie »weckten« mich mit Wasser wieder auf. Sie beschimpften und demütigten uns auf die gemeinste Weise. Nachdem sie uns zusammengeschlagen hatten, gingen sie zu den beiden anderen, und wir hörten sie dasselbe tun wie bei uns.‘ Dem Betroffenen ist inzwischen erneut die Flucht geglückt.

Die von Österreich ab-, zurückgeschobenen beziehungsweise zurückgewiesenen Flüchtlinge werden von den ungarischen Beamten an der Grenze entgegengenommen und umgehend in Auffanglager gebracht, unter anderem ins Lager Györ.

Im Auffanglager in Györ herrschen katastrophale Verhältnisse, wie aus einem Augenscheinbericht von Eva Menasse hervorgeht (siehe Beilage). Das Auffanglager ist in einer desolaten, stillgelegten Kaserne untergebracht. Zum Besichtigungszeitpunkt befanden sich in dem Lager 114 Erwachsene und 13 kleine Kinder. Das bedeutet ein zirka 100prozentigen Überbelag, wie vom Lagerleiter bestätigt wurde. Von Jänner bis Ende Mai 1998 sind insgesamt 1 716 Menschen in diesem Lager untergebracht worden. Zirka 700 kamen direkt aus Österreich. Bei dem ,Lager‘ handelt es sich um einen vergitterten Korridor mit ein paar Schlafsälen. Die Toiletten sind unbenützbar, verstopft und die Tür nicht verschließbar. Die Installateure aus Györ haben sich geweigert, die sanitären Anlagen zu reparieren. Die Schlafsäle sind derart überfüllt, daß sich immer sechs Menschen zwei aneinandergeschobene Stockbetten teilen müssen. Männer, Frauen und


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