Dr. Schmidt: Ich halte es sehr wohl für absolut legitim, daß alle – jeder Mann, jede Frau, auch Politikerinnen und Politiker – Kunst beurteilen und ihre Meinung dazu abgeben können. Ich denke sogar, daß jemand, der in der Kulturpolitik einen gewissen Stellenwert beansprucht, auch eine Meinung haben soll. Diese wird aber nicht in allen Bereichen gleichermaßen kompetent sein, das kann auch gar nicht der Fall sein. (Zwischenruf der Abg. Dr. Schmidt.) Eine Meinung zu haben, ist absolut notwendig.
Es ist nur die Frage, was damit gemacht wird, ob Meinungen instrumentalisiert werden, um ein ganz anderes politisches Ziel zu erreichen, nämlich die Empörung gegen die Regierenden, die Empörung gegen jene, die Förderungen bekommen, die Empörung gegen irgendwen schlechthin. Das ist das Ziel, nicht der Inhalt dessen, was passiert. Das ist dabei völlig marginal, das ist auch denen, die diese Art der Politik betreiben, absolut bewußt.
Das war zu jeder Zeit so. Nehmen Sie die Werke aus der römischen Antike, Werke von Schriftstellern, von denen einige Werke zur Standard-Pflichtlektüre in den Schulen gehören! Da gibt es Werke, deren Inhalt absolut pornographisch ist oder als solcher eingestuft werden könnte. Nehmen Sie die Werke der Malerei in vielen Bereichen von Künstlern, die heute extreme Marktwerte haben! Nehmen Sie auch in der Architektur die Bauwerke eines Otto Wagner! Da gab es massive politische Entscheidungen, die besagt haben, das soll geschehen können. Für den Zeitgeschmack war das absurd und bizarr, aber heute sind diese Bauwerke ehrwürdiger Jugendstil.
Das ändert sich eben, aber eines bleibt natürlich: Die Mehrheiten werden wahrscheinlich den Wert erst später erkennen. Genau diese Diskrepanz besteht. Es kann auch sein, daß sich einmal etwas nicht ändert, daß man auch in späteren Zeiten draufkommt, daraus wird nichts werden; das kann auch sein! (Abg. Dr. Krüger: Sie werden für alles Beispiele finden!) Ja, es gibt Beispiele, es stellt sich nur die Frage, was politisch angestrebt wird. Ich sage nur: Das steht Ihnen ja auch zu, das ist in einer Demokratie ja auch legitim, aber man soll sich dessen bewußt sein, was da abläuft, und dann auch entsprechend reagieren. Die Grenzen der Möglichkeit dieser Polarisierung und Emotionalisierung liegen dort, wo Schranken aufgebaut werden.
Das ist sehr wohl eine Aufgabe, die ich beim Regierungschef, insbesondere bei der Kunst- und Kulturkompetenz, ansiedle. Wenn es nicht salonfähig ist, eine bestimmte Grenze zu überschreiten, kann damit auch nicht mehr leicht Politik gemacht werden. Das zeigt sich immer wieder, das zeigt sich auch in den anderen Emotionalisierungsthemen – vom Lichtermeer bis hin zu Solidarisierungen mit Kunstschaffenden. Es geht um die Frage der Grenzziehung der Verantwortlichen, die ihre persönliche Meinung haben können, die objektivierbare Mechanismen anzubieten haben, ansonsten aber ihre Rolle als Advokaten der Freiheit der Kunst – meiner Meinung nach – auszuüben hätten. Wenn diese Rolle der politisch Verantwortlichen ins Wanken gerät, wenn nicht mehr ganz klar ist, ob sie mit den Populisten gehen, ob sie auch – zumindest augenzwinkernd – ein gewisses populistisches Kalkül im Hinterkopf haben oder ob sie die Bastion für die Freiheit der Kunst sind, die jeder Mann und jede Frau kritisieren dürfen, wird es gefährlich. (Beifall bei den Grünen.)
Es wird dann gefährlich, wenn nicht mehr wirklich erkennbar ist, ob das jemand tun darf. Natürlich gelten auch für den Kunst- und Kulturbetrieb Schranken; Gesetzesbrüche, Verstöße gegen Prinzipien sind nicht zu dulden, aber die Grenzen für Kunst und Kultur sind sicherlich so weit draußen wie nur irgend möglich zu stecken, denn Kunst und Kultur haben ja auch den Auftrag, heutige Sichtweisen und Werthaltungen kritisch zu hinterfragen sowie einen Anstoß zur Veränderung zu geben. Daher muß dort der Rahmen der weitestmögliche sein.
Diesen weitestmöglichen Rahmen hat ein Kunstkanzler zu verteidigen, und zwar bedingungslos und kategorisch. Wenn klar ist, daß ein Einbruch in diesen Bereich, der Versuch, ihn schlechtzumachen, illegitim, ein Tabubruch ist, dann läßt sich damit auch nicht mehr so leicht Politik machen – versucht werden, kann es schon. Das zeigt sehr wohl auch die Vorgangsweise und die Entwicklung in der sogenannten – und so provozierten – Causa Kolig, denn diesbezüglich hat sich das Anliegen der Freiheitlichen, mindestens 20 000 Unterschriften zu sammeln, als ziemlich kapitaler Flop herausgestellt, weil dabei die Hintergründe sehr klar waren und auch die