Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 88

sprechen wird, und auch, daß es in der Schweiz keine "dissenting opinion" gibt. Sie waren daher in der frohen Erwartung und Hoffnung hingekommen, der Müller würde ihnen jetzt bestätigen, daß die "dissenting opinion" überflüssig ist und daß man so etwas nicht braucht. In einem gewissen Sinn hat er das zwar getan, aber er hat eben zum Ausdruck gebracht, daß man das nur dann nicht braucht, wenn alles öffentlich ist. (Abg. Mag. Stadler: Über die Öffentlichkeit des Verfahrens kann man reden!) Richtig!

Damit ist an und für sich alles gesagt, und ich kann, ohne jetzt aus dem Protokoll vorlesen zu müssen, fast an meinen eigenen letzten Redebeitrag in der Enquete anknüpfen und sagen: Es wird unsere Aufgabe sein, eine politische Lösung dafür zu finden, wie die Entscheidungsabläufe in den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes so transparent wie möglich sein können.

Die "dissenting opinion" ist ein Ansatz, über den man diskutieren kann, dagegen ist gar nichts zu sagen. Aber es geht eben nicht an, so zu tun, als ob der Verfassungsgerichtshof a priori sakrosankt wäre und womöglich noch darunter leiden würde, wenn die rechtsuchende Bevölkerung erkennen würde, daß es keine von vornherein einheitliche Meinung gibt, die sich dort durchsetzt, sondern daß auch dort eine Meinung erst erarbeitet werden muß.

Das wäre vielleicht ganz günstig. Auch Rechtsanwälte sind der Auffassung, daß ein Urteil transparenter ist, wenn man auch sieht, welche Position zwar erörtert wurde, sich aber nicht durchgesetzt hat. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim Liberalen Forum. – Abg. Dr. Feurstein: Der Rechtsanwalt will es, das ist mir klar!)

14.03

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Weiters zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte, Frau Abgeordnete.

14.03

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich knüpfe an die Ausführungen des Herrn Dr. Kier an und möchte hier feststellen, daß ich den Eindruck, den die Enquete in ihm hinterlassen hat, nicht teilen kann. Er hat versucht, uns hier das Bild zu vermitteln, das Ergebnis der Enquete wäre gewesen, daß es eine einhellige Ablehnung des Instrumentes der "dissenting opinion" gab.

Ganz im Gegenteil! Es haben sich dort – wenn man das in einer martialischen Sprache ausdrücken will – die Fronten klar gezeigt. Die Rechtswissenschafter haben alle durch die Bank dieses Instrument des Minderheitsvotums begrüßt beziehungsweise seine Einführung gefordert, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Wissenschaft ja auch davon lebt, sich mit "dissenting opinions" auseinandersetzen zu können.

Für mich waren die Ausführungen des Präsidenten des Schweizer Bundesgerichtes eine Unterstützung in der Forderung nach dem Minderheitsvotum. Denn er hat – und das hat Kollege Kier ja schon richtig bemerkt – mit seiner Stellungnahme genau jenen Argumenten recht gegeben, die bisher in Österreich für die Einführung dieses Instrumentes immer wieder in die Diskussion gebracht wurden. Er hat gleichzeitig auch die Bedenken geäußert, die es gibt, und auch die gewichtigen Argumente bei den Sorgen oder bei den Einwänden bestätigt.

Nichtsdestotrotz sind die Schweiz und Österreich nicht vergleichbar. In der Schweiz gibt es halt die Öffentlichkeit bei den Verhandlungen, und bei uns nicht. Daher sind seine Ausführungen in einem ganz anderen Licht zu sehen als etwa jene der Präsidentin des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, die uns ja eine Art Erfahrungsbericht gegeben und erzählt hat – es ist rund 20 Jahre her, daß das dort eingeführt wurde, vielleicht sogar ein bißchen mehr, das habe ich jetzt nicht mehr so genau im Kopf –, welche Auswirkungen das in Deutschland hatte.

Sie hat vor allem davon gesprochen, daß es bei Minderheitsvoten für die Mehrheit, die sich durchsetzt, den Zwang gibt, die Überlegungen schärfer zu durchdenken und überzeugender zu begründen. Das ist auch eines meiner wesentlichsten Argumente für die Einführung.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite