Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 204

21.58

Abgeordneter Dr. Alois Mock (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte zur Erweiterung sagen: nichts Neues. Es gab immerhin schon dreimal Erweiterungsrunden. Das erste Mal um England, Dänemark und Irland, das zweite Mal um Spanien, Portugal und Griechenland, das dritte Mal um Österreich, Schweden und Finnland. Und doch ist viel Neues und auch Schwieriges dabei.

Zum ersten Mal sind Verhandlungen mit postkommunistischen Ländern zu führen. Warum ist das so schwierig? Hier geht es nicht nur um den Acquis communautaire, um den Rechtsbestand, den jeder übernehmen muß – vor allem auch in den Grundrechtsfragen, denn wenn wir hier keine Gemeinschaft sind, dann ist das nicht sehr sinnvoll –, sondern auch um die Wirtschaftsfragen und in viele andere Probleme.

Aber es kommt bei diesen Ländern noch die ideologische Gehirnwäsche hinzu. Jahre und Jahrzehnte hindurch wurden sie entwöhnt, den Freiheitsraum zu schätzen, um auch Entscheidungen fällen zu können. Es gibt doch immer wieder jene Beispiele aus der Praxis, daß jemand etwa sagt: Ich möchte haben, daß das Exportministerium meine Exportquote festlegt, nicht ich als Manager. Das kann man nicht von heute auf morgen ändern. Die Bewußtseinsfrage ist eine langfristige Frage, und sie wird uns innerhalb der Europäischen Union lange belasten.

Wir haben die Schwierigkeit, das kommunistische Erbe überhaupt zu übernehmen, sei dies nun Tschernobyl, seien es die katastrophalen ökologischen Zustände in gewissen Bereichen der postkommunistischen Länder oder die vielen anderen Probleme, wie etwa die geringe Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. All das macht die Frage noch viel schwieriger. Man kann hier nicht sagen: Auch Portugal lag weit unter dem Durchschnitt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Europäischen Union.

Es wäre aber falsch, immer nur die Schwierigkeiten zu sehen. Man muß sie jedoch realistisch sehen, man muß sie bewältigen.

Meine Damen und Herren! Warum sind wir dafür? – Weil wir Interesse haben an einem Europa, das keine Bruchlinien hat, und daran, daß wir Grenzen haben mit Nachbarn, die ebenso stabil sind wie wir. Die Stabilität der Ungarn, der Slowenen und der anderen Nachbarn ist teilweise auch unsere Stabilität. Frieden verlangt Stabilität, und daher wollen wir, daß auch diese Länder dabei sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Sie müssen genau die gleichen strukturellen Änderungen durchführen, die wir durchführen mußten, und aufgrund ihrer Vorgeschichte noch viele weitere. Nur dann werden sie wirtschaftlich und sozial leistungsfähige Einheiten bilden. Dann wird es zwischen uns zwar diese schärfere Konkurrenz geben, aber auch die Stabilität, von der ich vorhin gesprochen habe.

Meine Damen und Herren, ich glaube, das muß unser Ziel sein, vor allem Österreichs Ziel.

Es bestand immer schon eine unserer Funktionen darin, eine Brücke zu bilden. Man braucht hier gar nicht erst über die Neutralität zu streiten, denn ich glaube, unsere geographische Position verlangt, daß wir auch eine Brücke zu diesen Ländern bilden. Nicht zuletzt ist die Erwartungshaltung bei diesen Ländern sehr groß. Es war nicht nur aus besonderer Freundlichkeit, daß die Europäische Union beziehungsweise die Europäische Kommission als das damals maßgebliche Organ im Gutachten zu unserem Ansuchen festgestellt hat, daß es eine andere Europapolitik im Südosten Europas gäbe, wenn ein Land wie Österreich Mitglied wäre, das immerhin Erfahrung im Zusammenleben mit diesen Menschen, mit diesen Völkern hat, das sie gut kennt, das dort gut bekannt ist – trotz aller Schwierigkeiten, die auch die Geschichte aufgezeigt hat. Ich glaube, wir sollten diesen Weg in unserem Interesse gehen, auch wenn die Voraussetzungen – ich betone dies nochmals – sehr schwierig sein können.

Da wäre etwa die Änderung der gemeinsamen Agrarpolitik – es gibt wenige Dinge, die schwieriger sind als die Lösung dieser Frage –, die Steuerpolitik, die Institutionenreform. Es kann nicht nur ein "widening" geben. Das quantitative Denken allein führt nie zu Qualität in der Gesell


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