Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 149. Sitzung / 111

Gesetzesänderung eine komplette Bespitzelung jedes/jeder beliebigen Bürgers/Bürgerin ermöglicht?

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage gemäß § 93 Abs. 2 GOG verlangt."

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Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Van der Bellen als Fragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort. Laut Geschäftsordnung beträgt die Redezeit maximal 20 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

15.01

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! "Die wahre staatsrechtliche Struktur eines Gemeinwesens enthüllt sich in der Handhabung der Sicherheitspolizei", schrieb Ludwig Adamovich im Jahre 1970.

Und er schrieb weiter: "Hier finden sich die letzten Schlupfwinkel jener Staatsauffassung, die man mit dem Namen ,Polizeistaat‘ dem immer weiter an Boden gewinnenden rechtsstaatlichen Denken gegenübergestellt hat." – Ach, lieber Ludwig!, möchte man da sagen.

Damals, im Jahre 1970, unterlag doch die Entwicklung zum Polizeistaat noch gewissermaßen einer ökonomischen Schranke. Der Polizeistaat der sechziger und frühen siebziger Jahre ist doch noch an seinen enormen Kosten gescheitert. Die Liebhaber von Kriminalromanen und Kriminalfilmen wissen, wie schwierig es ist, einen Verdächtigen 24 Stunden lang physisch zu observieren. Dazu brauchen Sie mindestens sechs Beamte im Dreischichtbetrieb – und dann, selbst wenn Sie ihn beobachten können, ist es sauschwer, zu hören, was er oder sie mit anderen Leuten spricht. Das ist oder war also eine sehr arbeitsintensive, sehr teure und lückenhafte Art der Observierung.

Wenn man sich überlegt, daß es die ehemalige DDR trotz 500 000 Informanten letztlich nicht zustande gebracht hat, ihr Staatsgebilde sozusagen unter Kontrolle zu halten, dann gibt einem das zu denken. Die DDR, sozusagen die letzte Inkarnation des alten Metternich – man kann nur sagen: die hoffentlich letzte Inkarnation des alten Metternich! –, hat es nicht geschafft.

Aber wie schaut das heute aus? – Die Zeiten, in denen jemand erst mühsam in eine Wohnung einbrechen mußte, um irgendwo eine Wanze oder irgendein technisches Abhörgerät anzubringen, sind doch lange vorbei! Mit solchem Kinderkram beschäftigt sich doch niemand mehr! Ein modernes Parabolmikrophon hört auf über 1 Kilometer Entfernung ab, und sogenannte Laser-Mikrophone hören durch geschlossene Fenster ab! (Zwischenruf bei den Freiheitlichen.) – Ja, ja, ich habe mich auch eingelesen.

Sogenannte Stroboskopkameras können in Sekunden Hunderte von Fotos machen, das heißt zum Beispiel jeden einzelnen Demonstranten fotografisch festhalten – gleichgültig, wie langsam oder rasch er sich bewegt.

Wenn man sich vergegenwärtigt, was heute schon an Überwachungskameras an vielen Orten steht – in den U-Bahn-Stationen, bei den Banken, vor Amtsgebäuden, vor Botschaften, ganz zu schweigen von verschiedenen Verkehrskontrollsystemen zur Verkehrsüberwachung –, alles für sich genommen vielleicht sinnvoll und notwendig, aber wenn man sich überlegt, welche Vernetzungsmöglichkeiten da bestehen, die heute schon technisch möglich sind und in fünf Jahren durchaus preiswert zu haben sein werden, und wenn man sich dann noch überlegt, welche Möglichkeiten in der Überwachung der modernen Telekommunikation – vom Telefon über die Handys zum Fax, zum E-Mail und so weiter; aber die Handys ganz im speziellen – gegeben sind, kurzum, im Jargon: welche Möglichkeiten die sogenannte algorithmische Überwachung bietet, dann erkennt man, daß heutzutage eine historisch beispiellose Möglichkeit zur Überwachung des Bürgers gegeben ist: eine beispiellose Möglichkeit, von der Metternich und die alten


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