Diese Halbierung ist nicht wissenschaftlich nachzuvollziehen. Es ist nicht nachweisbar, daß sich auf dem Gebiet des Arbeitnehmerschutzes oder des Schutzes vor Berufskrankheiten in Österreich tatsächlich etwas so gravierend positiv verändert hätte. Diese Halbierung findet auch keine Entsprechung in der Statistik, von der es ja geheißen hat, es sei nur eine EDV-mäßige Umstellung notwendig gewesen. Das sollte eigentlich Anlaß sein, Alarm zu schlagen, meine Damen und Herren, daß hier einiges im argen liegt.
Einer der Punkte, der dazu führt, ist neben vielen anderen Punkten, die ich hier gar nicht erwähnen will, natürlich die finanzielle Situation der Unfallversicherungsanstalt, die diese Krankheiten bezahlen muß und die, anstatt nicht nur die Krankheiten zu bezahlen, sondern auch Prävention zu leisten, jedes Jahr in seliger Übereinstimmung zwischen Rot und Schwarz lieber Beiträge an das Bundesbudget abgeliefert hat, weil eh so viel Geld da ist und eh so wenig zu machen ist.
Gleichzeitig wissen wir aber, meine Damen und Herren, daß in Österreich – und das läßt sich in den Statistiken an einem anderen Punkt nachvollziehen; die Kollegin Reitsamer kann mir da sicher zustimmen; die Statistiken über vorzeitige Alterspensionierungen wegen Krankheiten machen das deutlich – sehr viele Menschen, die vorzeitig in die Alterspension gehen müssen, deshalb gehen müssen, weil sie zu krank sind zum Arbeiten, weil sie zu "vernutzt" sind. Alle diese Krankheiten, die sich eigentlich in den Berufskrankheitenlisten finden müßten – wenn die Bandscheiben ruiniert sind, weil man als Maurer am Gerüst gearbeitet hat, weil man als Fernfahrer gearbeitet hat oder weil man als Krankenschwester gearbeitet hat –, finden sich jedoch nicht darin, sondern sie finden sich in der Liste der vorzeitigen Alterspensionierungen, und es wird den Menschen, die deshalb so krank geworden sind, weil sie im Beruf so "vernutzt" worden sind, auch noch zum Vorwurf gemacht, daß sie diese Pensionierung beanspruchen.
Angesichts dessen frage ich mich: Was ist das für ein System von Unfallschutz und Unfallprävention, in diesem Sinn auch Berufskrankheitenprävention, das die Kosten an einem anderen Ort potenziert, verdreifacht, vervierfacht, weil der Gesundheitsschutz und der Bereich, in dem sich diese Zahlen wiederfinden müßten, so extrem vernachlässigt wird? Das ist das eigentliche Problem. Einer der Punkte, der dafür verantwortlich ist, ist auch eine Generalklausel – um die geht es hier in diesem § 177 Abs. 2 –, die nämlich keine Generalklausel in dem Sinn ist, daß sie alle Krankheiten, die nicht taxativ in der Berufskrankheitenliste aufgeführt worden sind, als Berufskrankheiten zulassen würde, wenn sie nur eindeutig nachgewiesen sind, sondern die nur bestimmte Krankheiten als Berufskrankheiten zuläßt, nämlich wenn sie durch Arbeitsstoffe oder durch Strahlen hervorgerufen worden sind.
Das heißt, Belastungen durch Tragen, Heben, durch Nässe, Kälte, Hitze, Streß können selbst dann nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden, wenn sie eindeutig – eindeutig, was ja nicht immer einfach nachzuweisen ist – dadurch verursacht worden wären.
Der zweite Punkt in dieser sogenannten Generalklausel, die keine Generalklausel ist, ist der, daß diese Krankheiten nur dann Anerkennung finden, wenn sie eine Erwerbsminderung um mindestens 50 Prozent bedeuten würden, während die sonst übliche Regelung, daß schon 20 Prozent Erwerbsminderung zur Anerkennung ausreichen, bei dieser Generalklausel nicht gültig ist.
Da haben wir einen Punkt gefunden, einen unter vielen, an dem nachvollziehbar ist, daß diese Generalklausel nicht nur falsch ist und keine Generalklausel ist, sondern daß sie unter vielen anderen Ursachen mit eine Ursache dafür ist, daß so wenige Menschen tatsächlich Anerkennung für ihre Berufskrankheit finden, obwohl sie tatsächlich durch den Beruf krank geworden sind.
Das ist der Punkt, der zur Debatte steht, meine Damen und Herren. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, aus dieser falschen Generalklausel eine echte Generalklausel zu machen. Alle sprechen sich dafür aus – nicht nur die Arbeiterkammer, nicht nur, soweit ich weiß, auch das Arbeitsinspektorat, auch die Unfallversicherung, zumindest wesentliche Exponenten sprechen sich dafür aus, daß es eine echte Generalklausel geben soll, und trotzdem gibt es eine solche nicht.