Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 165. Sitzung / 89

Ich zitiere Egon Bahr mit dem Satz, mit dem er abschließt: "Dieser Preis" – nämlich all die unabsehbaren Folgen, wenn der Krieg nicht beendet wird – "wäre zu hoch, wenn die NATO, die gegen ihren Willen zur Luftwaffe der UÇK geworden ist, nun zu ihrer Infanterie würde, um einen Pyrrhussieg zu erringen." – Zitatende. Siegen heißt ja nicht unbedingt gewinnen! Daß die NATO siegen kann und wird, das bestreitet ja kein vernünftiger Mensch. Selbstverständlich kann die NATO siegen, das ist nicht die Frage. Aber was ist dann?

Egon Bahr ist nicht irgend jemand. Wenn es Egon Bahr und Außenpolitiker seines Schlages nicht gegeben hätte, dann hätte es niemals eine Aussöhnung der Bundesrepublik Deutschland mit Rußland gegeben, dann hätte es – es ist nicht übertrieben, so zu spekulieren – keine Zustimmung Rußlands zur Eingliederung der Ex-DDR in die Bundesrepublik Deutschland gegeben und dann bestünde jetzt nicht der Zustand, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland nach wie vor sehr gut sind.

Solche Äußerungen wünsche ich mir von Außenpolitikern, aber nicht die Äußerungen von – aber darauf möchte ich gar nicht eingehen. Ich meine jetzt nicht Minister Schüssel, sondern ich meine vor allem die amerikanische Außenministerin. (Abg. Verzetnitsch: In der gleichen Zeitung steht gleich daneben eine Gegenposition von einem auch nicht Unbekannten!) Natürlich, ja! Aber ich sage ganz ehrlich: Mir gefällt die Position von Egon Bahr besser als die von Erhard Eppler. Aber Sie haben recht, Herr Präsident, wenn Sie damit andeuten wollen, daß man beides lesen soll. Selbstverständlich!

Was sind denn die absoluten Prioritäten des Tages – unabhängig davon, daß die Verbrechen unakzeptabel sind? Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Wir würden darüber streiten, wie wichtig die fehlende völkerrechtliche Legitimation der NATO ist, was in meinen Augen auch eine Tatsache ist. Aber unabhängig von dieser Vorgeschichte: Was ist die Priorität des Tages? – Die kann nur heißen: erstens Eingrenzung des Konflikts, Verhinderung der Ausweitung des Konflikts, und zweitens: Flüchtlingshilfe, der Schutz der Flüchtlinge. Und beide Dinge hängen untrennbar zusammen.

Meiner Ansicht nach haben die Freiheitlichen bis jetzt nicht verstanden, daß das zusammenhängt. Denn auch heute wieder haben sie – im Gegensatz zu Minister Schüssel, wenn ich ihn richtig verstanden habe – heftig dafür plädiert, die Flüchtlinge sozusagen "vor Ort zu kurieren". (Zwischenruf des Abg. Jung.)

Herr Kollege Jung! Montenegro hat 650 000 Einwohner. Es gibt dort nach letzten Schätzungen ungefähr 75 000 oder 80 000 Flüchtlinge. Das würde, auf Österreich umgelegt, bedeuten, daß Österreich ungefähr 900 000 Flüchtlinge zu beherbergen hätte. Diese Situation muß explodieren! In Albanien besteht von den Zahlen her die gleiche Situation. In Mazedonien ist es vielleicht um eine Spur besser. (Abg. Jung: Wollen Sie, daß das Problem in zehn Jahren in Österreich explodiert?)

Es nützt alles nichts. Wenn Sie die Flüchtlinge vor Ort lassen, dann explodiert die Situation mit Sicherheit! Daß das andere auch seine "drawbacks" und seine Probleme hat, ist selbstverständlich, aber das erwähnte Explodieren garantiere ich Ihnen, und ich würde mich wundern, wenn Montenegro nicht binnen 14 Tagen zusammenbricht. (Abg. Jung: Sie meinen Mazedonien?) Nein, Montenegro.

Vizekanzler Schüssel hat sich heute in dieser Richtung ausgesprochen: daß es nicht geht, alle diese Flüchtlinge vor Ort zu lassen. Vor 14 Tagen, vor drei Wochen – ich schaue jetzt die Sozialdemokraten an – hat sich Innenminister Schlögl völlig anders positioniert. Er hat seine Position erst am Tag, nachdem die "Kronen Zeitung" geschwenkt ist, gewandelt, was die konkrete Art der Flüchtlingspolitik betrifft. Das darf ich ebenfalls in Erinnerung rufen.

Die Schweiz hat im übrigen schon vor 14 Tagen gesagt, daß sie, übers Jahr gesehen, mit einer Zahl von albanischen Flüchtlingen in der Größenordnung von 60 000 rechnet. Die Schweiz! Es ist mir nicht bekannt, daß sie zehnmal größer als Österreich wäre; sie hat aber jetzt schon einen besonders hohen Anteil von Albanern. Es ist jedenfalls nicht wahr, daß sich nur zwei Länder in Europa um die Flüchtlinge kümmern.


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