Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 166. Sitzung / 60

12.13

Abgeordneter Dr. Ewald Nowotny (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Wir hatten gestern hier in diesem Haus eine allgemein politische Debatte. Heute behandeln wir einige wirtschaftspolitisch-argrapolitische Fragen, die im Vordergrund stehen. Ich muß aber ganz offen sagen: Die große europapolitische Debatte, bei der dieses Haus sich einmal die Frage stellt: Wie wollen wir aus der österreichischen Sicht die weitere Entwicklung der EU, und was können wir dazu tun?, wurde eigentlich in diesem Parlament bis jetzt noch nicht geführt. (Abg. Dr. Gredler: Weil Sie es nicht wollten!) Ich finde, daß es schon wichtig wäre, uns gerade jetzt, angesichts dieser kritischen Wendepunkte der europäischen Politik, auch als Parlament vielleicht einmal die Zeit zu nehmen, diese Dinge etwas ausführlicher und in einem großen Zusammenhang zu sehen.

Auch heute ist natürlich die Zeit zu kurz, um diese großen Zusammenhänge ein bißchen aufzuzeigen. Ich möchte aber dann ein paar Überlegungen in diese Richtung anstellen.

Erster Punkt. Der Berliner Gipfel war aus finanzpolitischer Sicht zweifellos ein Erfolg. Der Herr Finanzminister hat das bereits dargestellt. Wir haben mit der Agenda 2000 nun klare Finanzierungsstrukturen. Es ist eine reale Ausgabenkonstanz erreicht worden, was ich für sinnvoll halte. Die Eigenmittel-Obergrenze ist mit 1,27 Prozent festgeschrieben. Und bei Anerkennung – das muß man immer betonen: bei Anerkennung! – der Bereitschaft, an einer Verringerung der Wohlstandsunterschiede in Europa mitzuwirken, ist es gelungen, eine bessere und fairere Mittelaufbringung zu erreichen und damit auch eine finanzielle Entlastung für Österreich. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stellt sich aber noch eine zweite und, wie ich meine, sehr wichtige Frage: Ist nach diesem Berliner Gipfel und nach der Beschlußfassung über die Agenda 2000 dieses Europa, diese EU, gerüstet, um den Herausforderungen der Zukunft besser zu entsprechen?

Es sind vor allem zwei Herausforderungen, vor die sich Europa gestellt sieht, und zwar einerseits die Herausforderung im Bereich der Beschäftigungspolitik und andererseits die Herausforderung durch die EU-Erweiterung.

Nun ist es klarerweise so, daß Fragen der Beschäftigungspolitik einen breiten Bereich umfassen. Wir werden auch im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung noch darüber diskutieren. Aber es scheint mir gerade angesichts der jüngsten Diskussion wichtig, festzuhalten: Dieses Europa, diese EU, ist international auf den Weltmärkten absolut wettbewerbsfähig. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß wir einen riesigen Leistungsbilanzüberschuß haben, sowohl im Vergleich zu den USA als auch gegenüber der Welt insgesamt.

Das heißt aus ökonomischer Sicht, daß es sinnlos wäre, durch eine Strategie, die nur auf den Abbau der Arbeitskosten setzt, diese Leistungsbilanzüberschüsse nach außen noch einmal zu erhöhen. Die ökonomische Zielsetzung muß es sein, davon auszugehen, daß wir in der EU erstens das Problem einer mangelnden Nachfrage im Binnenbereich haben und daß wir zweitens Strukturprobleme haben, die speziell den Dienstleistungssektor betreffen.

Dazu kann man sagen, daß die Europäische Zentralbank – spät, aber doch! – mit der Senkung der Zinsen einen positiven Schritt gesetzt hat. Was jetzt notwendig ist, ist die Steigerung des privaten Konsums. Es besteht die Notwendigkeit, daß die privaten Investitionen ansteigen, aber auch die Notwendigkeit, daß man bei öffentlichen Investitionen eine entsprechende Bereitschaft zeigt. Das setzt zum einen voraus, daß die Impulse, die von dieser Zinssenkung ausgehen, möglichst rasch weitergegeben werden – ich kann hier nur noch einmal an die Banken appellieren, daß sich das auch bei den Kreditkonditionen auswirkt –, und das setzt zum anderen auch voraus, daß wir entsprechende Maßnahmen im Bereich der Budgets, im Bereich der öffentlichen Verwaltung setzen, ohne daß es zu einer Ausweitung der Budgetdefizite kommt.

Wir haben gerade gestern hier im Haus Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Bereichen beschlossen, das Konzept der sogenannten Private Public Partnerships. Ich halte auch den französischen Vorschlag, die transeuropäischen Netze stärker


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