Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 169. Sitzung / 89

Bedenken in den Wind geschlagen. Heute sind bereits zahlreiche Regierungsmitglieder sowie weite Kreise der Bevölkerung der Tschechischen Republik von der Sinnlosigkeit und der Absurdität dieses Kernkraftwerks überzeugt.

Ich will an dieser Stelle meine Anerkennung für jene zum Ausdruck bringen, die den Mut und die Weitsicht besaßen, für eine unabhängige Evaluierung einzutreten und eine transparente öffentliche Debatte zuzulassen. Ich meine, daß diese Entwicklung nicht zuletzt ein Verdienst der konsequenten und unermüdlichen Arbeit zahlreicher Mitglieder der österreichischen Bundesregierung ist. Es ist auch ein Verdienst anderer Gebietskörperschaften, vor allem aber all jener engagierten Bürgerinnen und Bürger sowohl in der Tschechischen Republik als auch in Österreich, die, wie ich, in all den Jahren die Hoffnung nicht aufgegeben haben, doch noch einen Meinungsumschwung herbeizuführen.

Die Argumente, die heute gegen die Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin und für zukunftsweisende andere Optionen auf dem Tisch liegen, sind nicht zuletzt das Verdienst österreichischer Aktivitäten. Ich erinnere daran, daß bereits in den Jahren 1993 und 1994 schwere Bedenken gegen die Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin vorgebracht wurden und daß wir in allen Punkten recht behielten.

Ich erinnere daran, daß vor allem österreichische Experten jene Argumente und Beiträge lieferten, die so überzeugend waren, daß viele ihre Meinung in den letzten Wochen änderten. Ich erinnere weiters daran, daß wir nie – hier spreche ich für alle involvierten Mitglieder der österreichischen Bundesregierung – einen Zweifel daran gelassen haben, daß Österreich bereit ist, eine zukunftsweisende Energiestrategie mit der Tschechischen Republik auszuarbeiten, sie mit allen Kräften und auch mit finanziellen Mitteln, wo dies erforderlich sein sollte, zu unterstützen.

Wir haben diese Bereitschaft nicht zuletzt durch die oben angeführten Aktivitäten eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wenn nun die tschechische Regierung doch noch von einer Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin abrückt, was wir alle hoffen und wofür wir weiterarbeiten werden, und in diesem Zusammenhang einen konkreten Wunsch an Österreich richtet, werden wir uns diesem Wunsch sicherlich nicht verschließen.

Um diesen endgültigen Umschwung zu erreichen, erarbeiten wir gegenwärtig einen detaillierten Aktionsplan. Auch wenn zur Stunde noch nicht alle Details dieses Aktionsplans feststehen, so will ich Ihnen doch die Grundzüge davon bereits hier und heute präsentieren. Dieser Aktionsplan betrifft sowohl die europäische als auch die bilaterale Ebene und umfaßt insgesamt fünf Punkte.

Zum ersten Punkt, zur nuklearen Sicherheit: Unter der österreichischen Präsidentschaft hat der Rat die beitrittswilligen Staaten aufgefordert, die nukleare Sicherheit zu verbessern, sodaß ein Niveau erreicht wird, das dem Stand in der Union hinsichtlich der Technologie und der Vorschriften sowie in operativer Hinsicht entspricht. Das ist wörtlich in diesem Beschluß so enthalten.

Da Deutschland über eines der modernsten Atomgesetze verfügt, werde ich Deutschland dazu einladen, gemeinsam mit uns ein fiktives Genehmigungsverfahren für Temelin durchzuführen, und so alle noch bestehenden Defizite klar und eindeutig auflisten. Ich erinnere daran, daß Deutschland nach der Wiedervereinigung den Bau von Kernkraftwerken gleichen Typs in Stendal umgehend eingestellt hat, weil die Nachrüstung auf westliches, auf westdeutsches Niveau bis zu 2,2 Milliarden D-Mark verschlungen hätte.

Natürlich werden wir auch die Europäische Kommission mit dieser Angelegenheit befassen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren, daß sich jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Kernenergie entscheiden kann. Ein Beitritt zur Europäischen Union setzt aber die Einhaltung der neuen Spielregeln voraus. Und dabei haben wir sehr wohl etwas mitzureden, meine Damen und Herren – nicht nur in Temelin, nicht nur in Tschechien, auch in allen anderen beitrittswilligen Staaten. Daher noch einmal klar formuliert: Ein EU-Beitritt Tschechiens, in dem ein Kernkraftwerk Temelin mit einem Sicherheitsrisiko, das nicht vertretbar ist, betrieben wird, ist für Österreich und auch für mich nicht vorstellbar. (Beifall bei der SPÖ.)


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